Seelenfeuer
treibst du zur Wasseroberfläche – und Kramer wird behaupten, das heilige Wasser stoße dich ab, weil du eine Hexe bist!
Atme ein, aber wenn sich dein Kopf erst unter Wasser befindet, musst du unter allen Umständen ausatmen. Hörst du, du musst langsam ausatmen!
Lass nach und nach die ganze Luft durch deinen Mund entweichen. Nur so sinkt dein Körper auf den Grund des Wassers!
Luzia, ich bin bei dir. Mein Herz schlägt in diesen Stunden allein für dich. Hab keine Angst, alles wird gut.
In ewiger Liebe. Johannes.
Johannes! Luzia spürte die Wärme seiner Hände wieder, und in ihrer Erinnerung hörte sie den tröstenden Klang seiner tiefen Stimme. »Johannes! Wenn ich dich nur ein einziges Mal wiedersehen darf, war all das nicht umsonst!« Ihr Herz wog schwer und Tränen brannten sich durch ihren Hals in ihre müden Augen. Schnell entzündete sie das kleine Papier an der verlöschenden Flamme, niemand durfte es finden, sonst schwebte ihr Geliebter in höchster Gefahr. Nicht einmal die Asche wollte sie an diesem furchtbaren Ort wissen. Schnell verteilte sie seine liebevollen Zeilen wie einen schützenden Panzer über ihrem Herzen und rieb sie auf die Haut ihrer Beine. Niemand würde etwas bemerken.
Wieder zogen sich die Stunden in einer endlosen Reihe düsterer Minuten dahin. War es draußen hell, oder schliefen die
Ravensburger schon wieder? Jenseits jeglichen Zeitgefühls hatte die feuchte Kälte des Kerkers ihren Leib längst gefühllos werden lassen. Einzig in ihrem wunden Schoß brannte ein rasendes Feuer. In der eisigen Stille hörte Luzia, wie ihre Zähne klapperten, und irgendwann versank sie in schwarzer, traumloser Erschöpfung.
»Vorwärts, Gassnerin, sonst muss ich dir Beine machen!« Mit diesen Worten trieb sie Berthold Schwarzenberger die glitschige Treppe hinauf. Weil Luzias Hände auf den Rücken gefesselt waren, konnte sie sich nicht festhalten und stolperte zum wiederholten Male. Die scharfen Stufenkanten bohrten sich in die Haut ihrer Schienbeine, Blut rann in feinen Linien bis hinab zu den Füßen. Berthold zerrte sie nach draußen, wo die ungewohnte Helligkeit in Luzias Augen brannte, obwohl der Tag kühl und trüb war. Ihr Schinder schob sie auf einen Karren und fesselte ihre Hände an den seitlichen Streben. Noch schienen die Straßen leer zu sein, doch das änderte sich, als sie die Stadt durch das Frauentor verließen. Am Straßenrand standen die Ravensburger und gafften. Weil sie die Schmach nicht ertragen wollte, hielt Luzia während der gesamten Fahrt die Augen geschlossen. Aber dem Grölen und den zotigen Rufen der Schaulustigen konnte sie nicht entkommen.
Hinter der Kuppelaue lag ein von vielen Bäumen umgebener Weiher. Er war nicht groß, aber sehr tief. Er war vom Blutgericht für die Wasserprobe ausgesucht worden.
Der Schinderkarren hielt, und Luzia öffnete die Augen. Sie sah, wie sich die Leute um sie drängten und sich um den Weiher unter den Bäumen verteilten. Einige hatten sogar etwas
zu essen mitgebracht oder prosteten sich mit Bierkrügen zu.
»Wann wissen die frommen Herren, ob die Gassnerin eine Hexe ist?«, fragte ein junges Mädchen in ihrer Nähe.
»Wenn das Wasser die Gassnerin abstößt und sie zur Wasseroberfläche treibt, ist sie eine Hexe. Wenn sie keine ist, sinkt sie wie ein Stein zum Grund, wo sie bleibt, bis die hohen Herren befinden, dass ihre Unschuld erwiesen ist.«
Das Mädchen kicherte nervös.
Die Umstehenden zitterten vor Aufregung. Schließlich gab es ein solches Spektakel nicht alle Tage zu sehen. Und das Volk hielt große Stücke auf diese Art der Wahrheitsfindung. Ein Knistern lag in der Luft, dem sich kaum einer entziehen konnte.
Schwarzenberger genoss seine Rolle. Er löste die Stricke von den seitlichen Verstrebungen, zerrte Luzia vom Schinderkarren und stieß sie vor sich her. Voller Entsetzen entdeckte sie den Steg, der in die Mitte des Weihers hinausführte, wo das Wasser endlos tief war und bleigrau schimmerte. Dort warteten Heinrich Kramer, der in seinem weißen Habit beinahe wie eine Lichtgestalt wirkte, und Kaplan Grumper in einer einfachen, dunklen Soutane. Schwarzenberger trieb sie wie ein Maultier vor sich her.
Während sie vorwärtstaumelte, sah sie in die Augen der Menschen, denen sie die Stirn gekühlt und die Hände gehalten hatte. Egles Tochter, die Frau eines wohlhabenden Kaufmanns und glückliche Mutter eines Sohnes, rümpfte ganz in ihrer Nähe die Nase.
Ohne meine Hilfe hätte auch Eure vierte
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