Seelenfeuer
die wahren Teufel! Einer wie der andere sollt Ihr in der Hölle schmoren«, sagte er sehr leise, aber deutlich.
»Das habt Ihr nicht umsonst gesagt!«, drohte Grumper.
Alles Weitere hörte Johannes nicht mehr, denn seine ganze Aufmerksamkeit gehörte Luzia. In Windeseile legte er sie flach auf den Rücken. Nachdem er ihren Mund geöffnet hatte, fanden seine Hände die Stelle wie im Schlaf. Mit übereinandergelegten Händen presste er Luzias Brustkorb zusammen. Nur so würde es ihm gelingen, das Wasser aus ihren Lungen zu pumpen und das leblose Herz wieder in Gang zu bringen. Ihr Herz, das viel zu kurz für ihn geschlagen hatte.
Die Leute glotzten noch immer vom Ufer her. Ein paar Frauen weinten laut, einige beteten oder bekreuzigten sich.
Zuerst verließen die Messdiener den Steg, ihnen folgten die
beiden Geistlichen. Als Schluss der mörderischen Prozession kam Schwarzenberger. In Begleitung der Büttel machten sie sich bereits an den Rückweg.
Endlich war der Steg frei, und auch Basilius konnte in Luzias Nähe. Sein Gesicht wirkte grau. Er fiel neben seiner Nichte auf die Knie und begann zu weinen. »Glaubst du, es besteht noch Hoffnung?«, fragte er mit tränenerstickter Stimme.
Johannes antwortete nicht. Er presste weiter und weiter, bis das Wasser endlich schwallartig aus Luzias Mund floss. Ein Aufschrei ging durch die Menge.
Heinrich Kramer bemerkte, dass in seinem Rücken etwas vor sich ging, und blieb samt seinem Notar am Ufer des Weihers stehen. Gespannt verfolgte er, was geschah.
Johannes presste Luzias Brust wieder und wieder. Dazwischen schrie er laut ihren Namen. Irgendwann hörte er Basilius’ matte Stimme. »Lass sie gehen! Es hat keinen Sinn mehr.«
Doch Johannes wollte nicht aufgeben.
Plötzlich riss die dichte Wolkendecke auf, und die Sonne schien auf den Weiher und auf den Steg. Ein Murmeln und Raunen erhob sich unter den Leuten am Ufer.
»Das ist ein Zeichen von Gott!«, flüsterte jemand und bekreuzigte sich rasch. Eine alte Frau stimmte das Ave-Maria an. Augenblicke später fielen weitere ein. Nanne, die mit einem Herzen aus Blei das Geschehen aus der Ferne beobachtet hatte, fiel auf die Knie und betete um Vergebung ihrer Schuld.
Luzias lavendelfarbene Lider flatterten wie die Flügel eines kleinen Vogels, ehe sie sie öffnete und Johannes wie aus weiter Ferne ansah. Dann fiel sie wieder in die Bewusstlosigkeit.
»Luzia! Luzia, mein Gott, du lebst!«, rief Johannes und
strich ihr das nasse Haar aus der Stirn. Er riss sie an sich und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen.
Basilius kniete neben ihnen und rieb Luzias Hände, während ihm die Tränen über das Gesicht liefen.
Die Leute drängten näher an den kleinen Steg heran. Einige begannen zu weinen. »Es ist ein Wunder!«, flüsterten sie von allen Seiten. »Die Gassnerin ist unschuldig!«, schrien einige und riefen die zurück, die sich bereits auf den Heimweg gemacht hatten. Die Menge bebte.
»Untersteht euch und bleibt, wo ihr seid!«, donnerte der Inquisitor und stellte sich der Menge in den Weg. Er hielt ein silbernes Kreuz in die Höhe und bellte: »Wahrlich ist es ein Zeichen. Aber es ist die Handschrift des Teufels! Oder was glaubt ihr, hat sie nach dieser langen Zeit ins Leben zurückgebracht? Jeder Sterbliche wäre in den Fluten des Weihers umgekommen! Nie habe ich ein eindeutigeres Zeichen gesehen. Luzia Gassner ist eine Hexe!« Eilig bekreuzigten sich die Leute und wichen ängstlich zurück.
»Betet! Betet für eure verwirrten Seelen und für eure blinden Augen!« Grumper konnte sein Glück über diese unverhoffte Wendung kaum fassen. »Büttel! Bindet die Gassnerin und bringt sie zurück in den Grünen Turm, wo wir noch heute mit der hochnotpeinlichen Befragung beginnen werden.«
»Oder der Folter, wenn euch das besser schmeckt!«, sagte Kramer.
21
N och vor dem ersten Hahnenschrei hatten die Büttel Luzia aus ihrem Verlies gezerrt, um sie zwei Treppen hinauf in die Folterkammer zu bringen. Wie die Gefängniszellen bestand auch dieser Raum aus übergroßen grob behauenen Steinblöcken. Nur dass hier im Abstand mehrerer Meter Pechfackeln in den Ringhalterungen der rußgeschwärzten Wände qualmten. Ein winziges Fenster in Luzias Augenhöhe grinste sie höhnisch an und erzählte ihr von der Freiheit, vom alltäglichen Leben draußen, die so nah und doch so unerreichbar waren. Vor der groben Wand stand ein schmaler, langer Tisch, dahinter befanden sich mit Schaffellen ausgelegte Scherenstühle und ein übergroßer
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