Seelenfeuer
über ihren schutzlosen Körper, während ihr die Angst beinahe die Sinne schwinden ließ.
Nicht der kleinste Sonnenstrahl verirrte sich hierher. Bereits an der Pforte des Kerkers wurde jede Helligkeit gelöscht, ausgeblasen wie die Flamme einer Kerze. Zurück blieb nichts
als eisige Kälte und nicht enden wollende Einsamkeit. Selbst das Atmen schmerzte hier unten im Vorhof zur Hölle.
Meinrad Feuersinger hatte sie vor ein paar Tagen in der Frühe verhaftet und hierhergebracht. Seitdem wurde sie jeden Morgen vor Tagesanbruch in Fesseln in den kleinen Ratssaal geschleppt. Am ersten Tag hatte ihr Kaplan Grumper alles, was man ihr vorwarf, aufgezählt. Luzia schüttelte sich vor Ekel, wenn sie an die Selbstzufriedenheit dachte, mit der Grumper stundenlang ihre angeblichen Verfehlungen herunterbetete, wobei er seine Litanei mit ihrer Aufsässigkeit und Gottlosigkeit in der Kindheit begann. Heinrich Kramer hatte sie unentwegt mit Fragen bedrängt. Über Vinzenz, Bertas Kind aus dem Kerker. Über das Unwetter, das man ihr zur Last legte. Er hatte ihr Fragen bezüglich mehrerer Fehlgeburten gestellt, die sie mithilfe eines Trankes ausgelöst haben sollte. Und er hatte von dem Kind gesprochen, das sie nach Aussage von Berthold Schwarzenberger draußen bei der Kuppelaue geopfert haben sollte. Immer wieder hatte der Inquisitor ihr dieselben Fragen gestellt, wohl hunderte Male, so oft, bis sie ganz wirr im Kopf wurde. Abends wurde sie wieder in ihren Kerker gebracht, und am nächsten Tag begannen die Fragen von neuem.
Während des gesamten Verhörs hatte ihr Institoris Antworten in den Mund gelegt und ihr mehrfach geraten, alles zu gestehen. Die schmutzigen Phantasien seiner Worte verstörten Luzia noch immer. Manchmal hatte sie geglaubt, jeden Augenblick müsste Kramer die Zunge herausfallen, so grausam waren die Dinge gewesen, die sie hätte zugeben sollen. Peinlich berührt dachte Luzia an Kramers Fragen, was die Unzucht mit dem Teufel anging. Unter den gierigen Blicken
der Räte hatte er wissen wollen, wie der Teufel sie zu nehmen pflegte und ob sich der Dämon je in ihr ergossen habe. Weiter hatte er sie gefragt, mit welcher List er Luzia dazu gebracht habe, den ehrbaren Medicus Johannes von der Wehr zur sittenlosen Fleischlichkeit zu verführen. Mit lüsternem Blick hatten Heinrich Kramer und sein Notar ihr die Antworten bis ins kleinste Detail in den Mund legen wollen. Luzia schauderte selbst jetzt noch beim Gedanken an die Schamlosigkeit der beiden Kirchenmänner. Selbst als sie darauf beharrte, noch Jungfrau zu sein, hatten ihr weder der Inquisitor noch Grumper geglaubt. Die anwesenden Ratsmitglieder hatten sich vor Lachen gegenseitig in die Rippen gestoßen. Noch immer hörte sie ihr zynisches Gelächter. Nur Bürgermeister Ettenhofer hatte verlegen den Blick abgewandt. Kaplan Grumper hatte für den Beweis ihrer Jungfräulichkeit eine körperliche Untersuchung durch den Medicus Sauerwein angeordnet. Allein der Gedanke, wie der alte Quacksalber seine Finger in ihre Weiblichkeit versenken würde, ließ Luzia eine Scham empfinden, wie sie sie noch nie erlebt hatte. Dabei tröstete sie allerdings der Gedanke, dass der alte Arzt ihre Aussage nur bestätigen konnte und sie vor den Räten entlasten würde.
Weil Luzia Gassner sich selbst nach tagelangem Verhör weigerte, wenigstens in einem einzigen Punkt der Anklage geständig zu werden, hatte das Blutgericht Kramer schließlich als Hexenprobe ein Gottesurteil abverlangt. Das war dem Inquisitor nicht recht. Kramer war bewusst, dass er dem Drängen der Räte nicht hätte nachgeben müssen. Durchaus wäre es der kirchlichen Macht möglich gewesen, ohne Aufschub mit der peinlichen Befragung zu beginnen. Dennoch wollte
er nicht gleich zu Beginn seines Wirkens in der freien Reichsstadt alles auf den Kopf stellen und hatte letztlich, wenn auch äußerst unwillig, einer Wasserprobe zugestimmt.
Seinen Gedanken nachhängend, schritt Kramer in seiner Kammer im Pfarrhaus auf und ab. Kaplan Grumper hatte sich auf einen Stuhl in der Ecke verzogen und wartete darauf, dass die Wut des Inquisitors sich legte. Die Wasserprobe hatte Kramer eigentlich nicht vorgesehen. Er brauchte ein Geständnis der Gassnerin, und das konnte sie ihm nur liefern, wenn sie bei dieser völlig überflüssigen Probe nicht ersoff! Einzig die Folter lockerte die Zunge der Delinquenten und sorgte dafür, dass sie geständig wurden. Auch die Gassnerin würde gestehen, wenn man ihn nur machen ließe!
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