Seelenfeuer
sich ans Fenster geflüchtet hatte, wich angesichts des Zorns, den der Doktor verbreitete, noch einen Schritt zurück. Bei Gott, so hatte er den Medicus noch nie gesehen. Jede Güte war aus seinen grauen Augen gewichen und sein Gesicht wirkte kalt und hart. Fast fürchtete sich der Bürgermeister vor dem sonst so besonnenen Mann.
»Ich bitte Euch, beruhigt Euch erst einmal und trinkt einen Becher Wein«, bat Ettenhofer, während seine Hände eine beschwichtigende Geste vollführten.
»Danke, mit Euch trinke ich nicht!«, spie Johannes aus. »Doch wenn Ihr einen Umtrunk wünscht, empfehle ich Euch die Schergen der heiligen Inquisition!«
Dem Bürgermeister fiel es schwer, seine Anspannung zu verbergen. Zwar hatte er auf den Besuch des Medicus gewartet,
doch dass dieser bereits während des Hausarrests stattfinden würde, hätte er nicht gedacht. Der Doktor hatte wahrlich Nerven. Wenn Kramer oder sein Notar ihn auf offener Straße antrafen, musste er damit rechnen, selbst eingekerkert zu werden. Von der Wehr mochte ja glauben, die Amtsmacht des Bürgermeisters sei ungebrochen, doch die Wirklichkeit sah anders aus: Im Rathaus hatte längst die Inquisition das Ruder übernommen, und solange er nicht selbst in die Fänge der Hexenverfolgung geraten wollte, waren ihm die Hände gebunden. Herrgott, er hatte es von Anfang an gewusst, dass dieser ganze Hexendreck nichts Gutes brachte. Andererseits, immerhin reiste Hochwürden Kramer in päpstlicher Mission, und die furchtbaren Umstände, die ihn letztlich hierhergeführt hatten, durfte man einfach nicht ganz außer Acht lassen. Und nun stand von der Wehr vor ihm und stellte unannehmbare Forderungen …
»Ihr wisst genauso gut wie ich, dass Jungfer Gassner keine Hexe ist! Deshalb verlange ich von Euch, dass Ihr Luzia Gassner auf freien Fuß setzt. Sofort! Und kommt mir nicht mit fadenscheinigen Ausflüchten, schließlich untersteht das Gefängnis den Befehlen der Stadt und ist keinesfalls eine kirchliche Einrichtung!«, stieß der Medicus wütend hervor. Dabei klang seine Stimme nicht, als lasse er dem Bürgermeister eine Möglichkeit, sich aus der Affäre zu ziehen. Ettenhofer schluckte und trocknete den Schweiß, der ihm mittlerweile auf der Stirn stand, mit einem Ärmel seines Gewandes. Er hatte es ja gewusst …
»Glaubt mir, wenn es nach mir ginge …«, begann der Bürgermeister. »Aber hier haben wir es mit der Inquisition zu tun …« Er lenkte seine Schritte zu einem zierlichen Stehpult.
Sein Gesicht wirkte gehetzt. Johannes’ Stiefel erzeugten einen bedrohlichen Klang, als er sich mit energischen Schritten dem Pult näherte.
»Ich bin nicht gekommen, um Eure Hilfe zu erbitten«, setzte Johannes seine scharfe Rede fort, »ich verlange jetzt und hier, dass Ihr etwas unternehmt! Wie Eure Räte es wollten, hat sich Jungfer Gassner einem Gottesurteil unterzogen, und wenn man derartigen Modellen der Wahrheitsfindung Glauben schenken mag, hat Gott sie für unschuldig befunden! Und nun sitzt sie erneut im Grünen Turm und wird gefoltert!« Diesmal packte er den Bürgermeister am Ärmel und zog ihn zu sich heran. »Wisst Ihr, was es heißt, aufgezogen und mit Peitschenschlägen gequält zu werden?«, wollte Johannes ungerührt wissen. Abrupt ließ er das Hemd des Bürgermeisters wieder los und betrachte ihn voller Abscheu. »Wohl nicht, sonst würdet Ihr nicht seelenruhig zusehen, wie diese Teufel genau das tun. Wenn es Euch gefällt, nehme ich Euch bei der nächsten Gelegenheit mit, wenn der Henker nach mir verlangt, weil er den Gefangenen bis zur Todesgrenze gemartert hat.«
Ettenhofer wich erschrocken zurück. Alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was von der Wehr mit ihm anstellen würde, wenn er wüsste, dass er jeden Tag der Folter der Gassnerin beiwohnen musste. Er seufzte ergeben.
»Es ist mir gleichgültig, wie Ihr Eure Macht ausspielt und wie Ihr den beiden Kirchenmännern das Handwerk legt, aber Ihr werdet es tun! Ich gebe Euch Zeit bis morgen, bis dahin sollte Euch besser etwas eingefallen sein, sonst werdet ihr mich kennenlernen!«
Ehe der Bürgermeister etwas sagen konnte, war der Medicus wieder verschwunden.
Am dritten Tag der Befragung stieß der Büttel Luzia wie immer die zwei Treppen hinauf. Doch heute hielt er sie, als sie sich schon wie gewohnt auf den Schemel setzen wollte, brutal zurück und zog ihr mit einem Ruck das graue Büßerhemd so heftig über den Kopf, dass der Stoff mit einem
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