Seelenfeuer
trotz Ettenhofers Erlaubnis den Besuch verwehrt?«
Johannes rieb sich das Gesicht und atmete ein paarmal tief durch, ehe er sich fähig fühlte zu antworten. »Offensichtlich handelt es sich beim Tatbestand der Hexerei um ein Sonderverbrechen und Heinrich Kramer hat kurzerhand jeden Besuch untersagt!«
Bei dieser Nachricht fiel der alte Mann noch ein wenig
weiter in sich zusammen. Johannes’ Sorge weitete sich zunehmend auf seinen alten Freund aus. Schon für den Medicus bedeutete die aussichtslose Lage mehr, als er ertragen konnte, doch er ersann Nacht für Nacht Pläne, um Luzia aus dem Kerker zu befreien. Basilius hingegen war zur Untätigkeit verdammt. Er quälte sich tagein, tagaus mit der Frage, ob es seine Christenpflicht war, Elisabeth und Jakob in Seefelden zu unterrichten, oder ob er ihnen ihren Frieden lassen sollte.
Luzia hatte jedes Gefühl für Zeit verloren. Sie glaubte, bereits eine Ewigkeit in dieser Hölle zuzubringen. Sie konnte schon lange nicht mehr auf eigenen Füßen die steile Treppe zur Folterkammer hinaufgehen, zwei Büttel nahmen sie in die Mitte und schleppten sie hinauf. Mehrmals hatte sie während der Befragungen das Bewusstsein verloren, dann lag sie zusammengekrümmt neben dem Schemel.
An einem dieser Tage behauptete Kramer, zwei weitere Frauen hätten ihre gemeinsamen Gräueltaten gestanden. Triumphierend las er ihr Geständnis vor:
»Beide haben behauptet, der Teufel habe sie mit dir zusammen am Tag des Unwetters draußen auf die Kuppelaue unter die alte Buche bestellt. Dort hat Luzifer ihnen befohlen, eine kleine Grube auszuheben und sie mit Wasser zu füllen. Alsdann hast du über die Wasseroberfläche gepustet und mit dem Finger Wellen erzeugt. Bald darauf sind die ersten Hagelkörner vom Himmel gefallen. Anschließend hat Luzifer dir, seiner Dienerin, befohlen, die vertrocknete Nabelschnur des kleinen Vinzenz in die Kuhle zu legen. Dann hast du die Raben herbeigerufen, und die Höllenbrut ist mit dem Hautstück, welches einem kleinen Menschen geglichen habe, davongeflogen.
Gib zu, dass es so war!« Sein Zeigefinger stieß auf ihr Gesicht zu.
Luzia stritt nach wie vor alles ab, und weil Kramer befürchten musste, dass Luzia unter der Tortur sterben könnte, wurde die Folter für einige Tage ausgesetzt.
Sie tunkte das uralte Brot in das brackige Wasser und aß seit langer Zeit wieder ein paar Bissen. Seit vielen Tagen spürte sie heute wieder die Kraft in sich, die sie brauchte, um nicht aufzugeben. Ich muss bei Kräften bleiben, sagte sie sich und zwang sich, das schimmlige Brot hinunterzuwürgen. Draußen wurde der Riegel zurückgeschoben. Luzia schreckte auf. Doch Schwarzenberger steckte nicht einmal die Fackel in die Halterung, sondern stieß nur mit grober Hand zwei Frauen vor Luzias Füße. Dann herrschte wieder Dämmerung.
»Wer seid ihr?«, fragte Luzia.
»Ist noch jemand hier?«, kam die erschrockene Antwort.
»Ich bin es, Luzia Gassner.«
»Luzia Gassner, die Hexe?«
Luzia wusste jetzt, dass sie Brigitta Lanzner und Franziska Egolf vor sich hatte, ihre angeblichen Komplizinnen. »Seid ihr denn welche?«, fragte sie zornig zurück.
Lange Zeit kauerten die beiden Frauen nebeneinander und wimmerten leise vor sich hin. Luzia kannte sie vom Sehen. Weil ihre Augen so gut an die Dunkelheit gewöhnt waren, sah sie, dass beide ebenfalls die Spuren der peinlichen Befragung trugen. Brigitta hatte der Henker die Finger gequetscht. Blut quoll unter den Nägeln hervor, und Franziskas leichte Verletzungen rührten von einem Riemen. Ihr Rücken wies ein paar blutunterlaufene Striemen auf, doch die Haut schien noch
unverletzt. Wortlos setzte sich Luzia neben die Frauen, die sich aneinanderklammerten.
»Kühlt Eure Finger in dem Krug«, wies sie die kahl geschorene Lanznerin an und deutete auf das abgestandene Wasser. Sie riss einen Streifen ihres eigenen Hemdes ab, tauchte es ins Wasser und kühlte Franziskas Rücken.
Nach langem Zureden erzählten sie stockend und unter Tränen, wie Kramer sie befragt hatte.
»Der Inquisitor hat uns getäuscht«, sagte Franziska Egolf mit bitterer Stimme. »Während meiner Befragung hat er behauptet, Brigitta habe bereits gestanden, mit meiner und Eurer Hilfe den Hagel gemacht zu haben.«
»Und während er mich befragte, bestand er darauf, Franziska und Ihr hättet all die furchtbaren Dinge zugegeben«, ergänzte Brigitta schluchzend. »Irgendwann waren wir so erschöpft, dass wir alles gestanden haben, was er von uns hören
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