Seelenfeuer
lassen? Große Mutter, hilf, dachte Luzia.
Zur Verwunderung aller verzog sich die Muntzin tatsächlich in den hintersten Winkel der Kammer. Ein erleichtertes Raunen kam von den Frauen.
Marie wand sich auf ihrem durchgelegenen Lager. Dazu bereiteten ihr die stickige, abgestandene Luft und die unerträgliche Hitze zusätzliche Qualen. Aus der hinteren Ecke marterte sie Gretes Blick, dem nichts entging, und der Weihrauch verursachte ihr zunehmende Übelkeit. Marie erbrach sich heftig. Gleich erfüllte der saure Geruch die ganze Kammer. Luzia wischte ihren Mund sauber und gab ihr einen
Schluck zu trinken, dann öffnete sie ohne ein Wort das Fenster. Grete saß mit dem Rosenkranz in der Ecke und schimpfte leise vor sich hin.
Die Geburt schien schnell fortzuschreiten. Die letzte Phase der Niederkunft kündigte sich an.
»Luzia, bitte, tut etwas! Ich kann es fühlen, etwas stimmt nicht.« Maries Augen schrien förmlich um Hilfe. »Es fühlt sich an wie die Male davor«, beharrte sie. Als sie erneut von einer Wehe überrollt wurde, schrie sie laut. »Ich bitte Euch, helft mir, mit dem Kind ist etwas, ich kann es nicht erklären.«
»Marie, ich würde Euch gern untersuchen. Euren Bauch, aber auch die Öffnung, durch die Euer Kind in die Welt schlüpft. Wenn Ihr mir diese Untersuchung gestattet, kann ich Euch mit großer Sicherheit sagen, wie lange es noch dauert, bis Ihr Euren Schatz in den Armen halten werdet.«
Die Weiber hielten den Atem an und die Stille in der Kammer tat fast weh. Grete und die beiden anderen starrten Luzia an, als habe sie den Teufel selbst geküsst.
»Heilige Margarete, steh uns bei. Die Unholdin will das Kind töten. Seht ihr denn nicht, sie will die Seele des Ungeborenen dem Teufel schenken.«
Luzia hörte nicht auf ihr Gekeife. »Habt keine Angst!«
Maries Augen weiteten sich, dann nickte sie aber und gab ihre Zustimmung. Behutsam legte Luzia ihre Hände auf Maries Bauch. Diese spürte eine Wärme, die sich wie ein Schild vor den Schmerz schob. Marie atmete aus und ließ sich zurück in die Felle sinken. Langsam tastete Luzia den weit vorgewölbten Bauch ab. Was sie fühlte, entsprach einer ganz normalen Kindslage. Der Kopf lag bereits so weit unten, dass Luzia ihn schon nicht mehr fühlen konnte. Als sie ihre Hand
unter Maries Hemd schob, erhob sich Gretes Stimme wie ein donnerndes Gewitter.
»Was fällt dir ein, du elendes Weib? Zauberin! Unholdin! Nimm sofort deine dreckigen Finger von den unaussprechlichen Stellen. Sie sind zutiefst von Sünde befleckt. Nicht einmal Gott selbst blickt den Weibern unter die Röcke.«
Luzia ließ sich von dem Gekeife der Alten nicht beirren. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass sich die Weberin und Annelie ängstlich ansahen. Sie wussten nicht, wessen Meinung sie teilen sollten.
Luzia schob ihre Finger ganz ruhig weiter und fühlte, dass etwas nicht stimmte. Sie erschrak, als sie Maries Geburtswege noch fast verschlossen vorfand. Normalerweise waren sie zu diesem Zeitpunkt weit, weich und offen. Kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals und das Blut rauschte ihr wie ein Sturzbach in den Ohren. Luzia sah, wie die Schatten an den Wänden tanzten und sie mit ihrem irren Gekicher in den Wahnsinn treiben wollten. Wenn sie nicht schnell etwas unternahm, verletzte das Kind Marie mehr als nötig, was eine starke Blutung zur Folge hätte. Sicher wäre es möglich, die Wunden zu nähen, dafür befand sich eigens eine Dose mit Katzendarm in Luzias Tasche, aber die Blutungen wurden manchmal so stark und ließen sich nicht mehr beherrschen. Oft starben die Frauen noch am selben Tag. Wehen glichen einer Naturgewalt, deshalb musste schnell etwas geschehen.
»Nehmt diese Kräuter, macht einen sehr starken Aufguss und bringt ihn mir in einer großen Schüssel«, wies Luzia die Altmutter an, nachdem sie einigen ihrer Kräutersäckchen etwas entnommen hatte.
Die schwarzen Schatten leckten bereits an ihren Röcken. Schnell öffnete sie eine kleine Dose und entnahm ihr eine große Prise schwarzen Pulvers. Das Pulver streute sie in Maries Becher und gab es der Gebärenden zu trinken.
»Große Mutter, hilf uns, bitte, lass uns jetzt nicht im Stich«, betete Luzia stumm.
»Was habt Ihr Marie gegeben?«, keifte Grete und stürzte zum Bett.
»Pulverisierte Sepien«, antwortete Luzia wahrheitsgetreu. Wie sie es geahnt hatte, wusste Grete nicht, dass es sich dabei um gemahlenen Tintenfisch handelte. Und sie traute sich nicht, ihre Unwissenheit
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