Seelenfeuer
gewogen.«
Das kann ich mir gut vorstellen, dachte Luzia.
»All das erzähle ich dir lediglich, damit du dir ein Bild von Schwarzenberger und den Machtverhältnissen in der Stadt machen kannst und dich zukünftig vor ihm in Acht nimmst!«, sagte Basilius sanft und streichelte Luzia wieder übers Haar.
»Das ist nicht mehr nötig«, gab sie leise zurück. »Ich kannte ihn bereits. Er war der diensthabende Wachmann, als ich in Ravensburg angekommen bin. Wir hatten einen ziemlich hässlichen Streit. Er hat meine Ehre beleidigt und wollte mich nicht in die Stadt hineinlassen.«
»Davon hast du mir nie erzählt.«
»Ich hielt es für nicht besonders wichtig.«
»Das wäre es aber gewesen!«, entgegnete der alte Mann tadelnd und rieb sich den kurzen grauen Bart. »Erzähl mir genau, was passiert ist«, wies er sie an und schob ihr einen gefüllten Becher zu. »Trink einen Schluck! Du bist ganz blass um die Nase.«
Luzia tat ihm den Gefallen und begann zu erzählen.
»Wäre Oberst Feldmann nicht gewesen …«, beendete sie ihre Schilderung.
Basilius schwieg nachdenklich. »Mit den Männern der Torwache müssen wir alle leben. Ein Stück weit werden wir ihnen immer ausgeliefert sein«, sagte er schließlich und nahm seine Augengläser ab. »Aber in Berthold Schwarzenberger hast du dir einen erbitterten Feind gemacht, weil du ihn gedemütigt hast. Er ist nicht der Mann, der eine Erniedrigung jemals vergisst. Du musst mir versprechen, dich nicht mehr in eine solche Gefahr zu begeben. Sollte wieder einmal in den Kerkerzellen nach dir verlangt werden, werden ich selbst oder Johannes dich begleiten.«
Luzia nickte und nahm noch einen Schluck aus dem Becher. Verwundert stellte sie fest, dass ihr das Dünnbier gar nicht einmal so schlecht schmeckte.
»Wenn Schwarzenberger ein so rachsüchtiger Mann ist, wie du sagst, dann verstehe ich nicht, wieso er sich Zeit gelassen hat, ehe er …«, Luzia brach ab und dachte einen Augenblick nach. »Von wem hast du die Geschichte eigentlich erfahren? Doch sicher nicht von diesem Mistkerl selbst?«
Basilius schüttelte den Kopf und rieb sich die müden Augen, bevor er das Glas wieder auf die Nase setzte.
»Ein Ratsknecht überbrachte mir ein persönliches Schreiben des Bürgermeisters. Darin unterrichtete Burkhard Ettenhofer mich über Schwarzenbergers Aussage. Laut Ettenhofer hat er seine Klage erst vor ein paar Tagen erhoben.«
Die schlimmste Nachricht, nämlich dass Luzia eine Vorladung erhalten hatte, wollte er noch ein wenig zurückhalten.
Natürlich!, dachte Luzia, als abermals unliebsame Bilder aus ihrer Erinnerung aufstiegen.
Es war in der letzten Woche des Taumonds gewesen, als sie in das Haus des Metzgers am Gerberbach gerufen worden war. Klara Löffler, die Frau des Metzgers, hatte einige Wochen vor der Zeit eine Totgeburt erlitten und blutete sehr stark. Luzia erkannte die Vorzeichen gleich, als sie sie sah. Die bläulich marmorierte Haut und die kalten Gliedmaßen waren eindeutige Boten des Todes. Weder die kalten Leinwickel noch die warmen Steine auf dem Unterleib vermochten den Zustand der Frau zu bessern. Sie hatte sich bereits von ihren beiden kleinen Töchtern verabschiedet, die weinend am Bett saßen, und dämmerte nur noch vor sich hin. Jetzt wäre Mutterkorn das Richtige gewesen, doch die letzten Körnchen
des hochwirksamen Pilzes waren längst aufgebraucht. Erst mit der nächsten Getreideernte würde es diese Medizin wieder in der Hebammentasche geben. In ihrer Not erhoffte sich Luzia Rettung von dem Hirtentäschel, der in großen Mengen neben der Buche auf der Kuppelaue wuchs. Den Hebammen war die Pflanze mit den vielen weißen Blüten heilig. Freilich konnte sie jetzt lediglich die Wurzel verwenden, denn frisches Kraut gab es jetzt, zu Beginn des Jahres, noch lange nicht. Luzia beschloss, mit der frisch ausgegrabenen Wurzel des Kreuzblütengewächses den Kampf gegen den Tod aufzunehmen und der Frau ihre Leiden zu erleichtern, wenn sie ihm schon nicht das Zepter entreißen konnte. Sie erzählte der Löfflerin, was sie vorhatte, und die Frau bat sie, das Menschlein, welches ihr Leib nicht hatte halten können, bei dieser Gelegenheit mitzunehmen. »Die alte Buche wird der ungetauften Seele Mutter und Beschützerin sein«, flüsterte sie mit versagender Stimme.
Luzia zögerte, doch dann dachte sie daran, dass es nur dem geübten Auge möglich war, in den geronnenen Blutklumpen ein menschliches Wesen zu erkennen, und so willigte sie schließlich ein. Sie
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