Seelenfeuer
widersprechen.
»Schweig!«, zischte Grumper und versetzte dem Alten einen schnellen Tritt.
Luzia erstarrte. Sie sah sich nach Zeugen für Grumpers ungeheuerliches Verhalten um, doch außer ihr und einigen Bedürftigen hatte im Getümmel der durcheinanderrufenden und lachenden Menschen niemand etwas bemerkt. Entschlossen half sie dem Mann wieder auf die Beinstümpfe, als sie Grumpers grobe Hand abermals auf ihrem Arm spürte.
Sie fuhr herum. »Was fällt Euch ein! Untersteht Euch, nochmals mich oder einen dieser Leute anzufassen, sonst werde ich schreien!« Sie wusste nicht, woher sie diesen Mut nahm, aber gleich darauf lähmten sie Grumpers Worte.
»Schrei nur, und ich bezichtige deine Krüppel schon morgen
des Kirchenraubs, dann kannst du bald zusehen, wie sie der Henker aufknüpft.« Er trat einen Schritt auf Luzia zu. »Andererseits, was würde wohl geschehen, wenn sie bei dir etwas aus der Kirche finden würden?«
Grumpers Speicheltröpfchen brannten auf ihren Lippen, und kalte Augen bohrten sich in ihr Herz.
10
M issmutig warf Basilius die schwere Tür, die Wohnstube und Apotheke voneinander trennte, ins Schloss, dann stapfte er geräuschvoll durch den hohen Arbeitsraum der Apotheke, zog hier eine Schublade und dort eine Schranktür auf, nur um sie gleich darauf wieder geräuschvoll zu schließen.
Luzia, deren Unterarme bis zu den Ellenbogen in getrockneten Lavendelblüten vom Vorjahr steckten, schluckte die Entrüstung, die sie angesichts des Verhaltens ihres Onkels empfand, hinunter. In ihren Augen benahm er sich wie ein ungezogener Flegel.
Jetzt füllte er getrocknete Pfefferminze in die dafür vorgesehenen dickwandigen Glasgefäße, und auch dabei verbreitete der alte Mann viel mehr Lärm, als nötig gewesen wäre. Er klapperte derart mit den Deckeln, dass Luzia schon befürchtete, er würde einen zerbrechen und sich dabei verletzen. Und jeder Schritt, den er mit unverhohlenem Zorn setzte, ließ die Holzdielen erbeben. Was war denn nur los mit ihm?
Eigentlich liebten sie diese Arbeit in der stillen Apotheke, inmitten der Gerüche, die die Heilpflanzen verströmten. In
der Regel arbeiteten sie still und achtsam, ohne viel zu sprechen. Für Luzia kam diese Tätigkeit fast schon einer sakralen Handlung gleich. Wenn sich die weise, alte Mutterseele der Heilpflanzen im ganzen Raum verströmte und ihr Innerstes berührte, wurde ihr immer ganz heilig zumute.
Aber heute ist es dir mit deinem Gepolter gelungen, die ganze würdevolle Stimmung zu zerstören, dachte sie ärgerlich. Damit meinte sie nicht nur den Lärm, den er verbreitete, sondern auch die unausgesprochenen Vorwürfe, die schon seit dem Morgengrauen in der Luft hingen.
Bereits während der Morgensuppe war ihr Onkel einsilbig und voller Missmut gewesen, und dieses Auftreten zog sich nun offensichtlich durch den Tag. Es gab einige Eigenschaften ihres Onkels, die sie nicht mochte, aber die brummige Übellaunigkeit, die er bisweilen an den Tag legte, raubte ihr den letzten Nerv. Konnte er nicht einfach sagen, was ihn verärgert hatte? Luzia presste einige der violetten Blüten und versuchte sich durch den besänftigenden Duft ein wenig zu beruhigen. Alles wird gut, schien ihr der französische Geist des Lavendels zuzuflüstern.
Stattdessen griff die Spannung immer weiter um sich, und bald überschattete sie die Apotheke wie eine düstere Gewitterwolke. Plötzlich drehte sich Basilius um und holte tief Luft.
»Was hast du dir nur dabei gedacht, als du ohne mein Wissen in den Kerker hinabgestiegen bist?«, polterte er los. »Und wie kommst du nur dazu, auch noch ohne Genehmigung des Rats einer Gefangenen zu helfen?« Basilius schleuderte das mit Pfefferminz gefüllte Leinen auf den großen Eichentisch im Arbeitsraum und schritt wie ein düsterer Galgenvogel auf seine Nichte zu.
Luzia erschrak. Noch bevor sie eine Antwort hervorbringen konnte, setzte Basilius seine wütende Rede fort. »Um ihr im Anschluss auch noch beim Sterben zu helfen, damit sie dem Henker entgeht!«
Die Worte des Onkels ließen sie frösteln. Hatte sie tatsächlich geglaubt, ihr Besuch im Gefängnis würde kein Nachspiel haben? Wenn sie ehrlich war, war ihr gleich danach die Angst im Nacken gesessen, aber nach so langer Zeit? Schließlich war es zum Ende des Martinimondes gewesen, als Michel gekommen war und sie um Hilfe gebeten hatte. Mittlerweile hatten sie längst das neue Jahr begangen.
Aus Basilius’ Mund klang es, als hätte sie in dieser Nacht eine andere Wahl
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