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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Haller
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geblähtes Segel bauschte sie sich in seinem Rücken und drohte ihn von den Füßen zu reißen. Mit zitternden Händen hob er das edelsteinbesetzte Schmuckstück in die Höhe. Regen peitschte auf ihn herunter und schien die geweihte Hostie mit
eisigem Wasser zu bespucken. Unter anderen Umständen würde er sich jetzt allen vier Himmelsrichtungen zuwenden, das Unwetter machte diese Handlung aber unmöglich, und so blieb er einfach vor der Kirche stehen. Ein Großteil der Gemeinde war ihm gefolgt und stand ebenfalls draußen auf dem Platz. Auch Nanne drängte, begleitet von Luzia, ins Freie. Luzia hörte, wie Johannes von der Wehr nach ihr rief und ihr ebenfalls folgte. Binnen weniger Augenblicke waren sie bis auf die Haut durchnässt. Das nasse Haar klebte ihnen am Kopf und ließ ein ganz unwirkliches Bild entstehen. Die Menschen wirkten wie aus dem Wasser ragende Felsen. Niemand bewegte sich. Dicht gedrängt, mit der Angst im Nacken warteten sie auf die rettenden Worte des Kaplans.
    Mit lauter Stimme begann er den Wettersegen zu sprechen: » Fulgure, grandine et tempestate libera nos, domine Jesu Christe. Ostende nobis, Domine, misericordiam tuam et salutare tuum da nobis. Domine, exaudi orationem meam et clamor meus ad te veniat. Dominus vobiscum. Ex hoc nunc et usque in saeculum. Adjutorium nostrum in nomine Domini qui fecit caelum et terram. Benedictio Dei omnipotentis, Patris et Fili et Spiritus Sancti, descendat super vos, locum istum et fructus terrae et maneat semper. Amen.«
    Luzia flüsterte: »Von Blitz, Hagel und Unwetter erlöse uns, Herr Jesus Christus. Erzeige uns Deine Huld, o Herr und schenke uns Dein Heil. Herr, erhöre mein Gebet und lass mein Rufen zu Dir kommen. Der Herr sei mit euch. Von nun an bis in Ewigkeit. Unsre Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat. Der Segen des allmächtigen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes komme herab auf euch, auf diesen Ort und auf die Früchte der Erde und verbleibe allezeit. Amen.«

    Für eine Sekunde schien der Sturm ein wenig von seiner ungeheuren Wucht zu verlieren, doch nur wenige Augenblicke später brauste eine mächtige Böe über die Köpfe der Menschen hinweg und lehrte sie das Fürchten. Die Welt schien aus den Fugen zu sein. Der schwarze Himmel hatte sich wie ein gieriges Maul über Ravensburg gestülpt und versuchte die ganze Stadt zu ersticken. Kurze Zeit später mischten sich erste Hagelkörner unter die Wassermassen, die vom Himmel strömten. Überall sprachen die Menschen in ängstlichem Ton miteinander. Selbst Kaplan Grumper machte jetzt keine Anstalten mehr, das Gemurmel zu unterdrücken.
    »Ich glaube nicht, dass dieses Unwetter noch mit rechten Dingen zugeht!«, schrie Nanne über das Heulen des Sturms hinweg. Dabei blickte sie sich um, als säße ihr der Leibhaftige im Nacken. Alle Umstehenden pflichteten ihr bei und nickten zu ihren Worten.
    »Das ist Hexenzauber und Teufelswerk. Wenn wir nicht bald die Schuldige finden, wird ihr Tun uns alle vernichten! Wir alle werden daran zugrunde gehen!«, rief Kaplan Grumper mit dröhnender Stimme.
    Mit ohrenbetäubendem Lärm schlugen bald münzgroße Eisklumpen auf den Platz, auf das Kirchendach und auf die Häupter der Menschen, die immer noch auf dem Kirchplatz ausharrten und auf Wetterbesserung hofften. Vergeblich versuchten sie, mit den Händen ihre Köpfe zu schützen.
     
    »Nehmt das und gebt mir Eure Hand!«, brüllte Johannes von der Wehr über das Unwetter hinweg neben ihr und legte sein samtenes Wams über Luzias Kopf. Er trug jetzt nur noch sein Hemd und schlang den Arm um ihre Hüfte, um sie zu schützen
und sie mit sich unter den schmalen Vorsprung des seitlichen Kirchendachs zu ziehen.
    Wie eine wild gewordene Horde Stiere rannten die Menschen in die Kirche zurück. Auch Nanne war unter ihnen. Luzia konnte sehen, dass Michel Weidacher bei ihr war.
    »Wartet, bis sich die Meute wieder im Inneren der Kirche befindet, sonst werden wir von den panischen Leuten niedergetrampelt.«
    Luzia nickte. Sie würde alles tun, was Johannes von der Wehr von ihr verlangte, so erleichtert war sie, den Hagelkörnern, die wie Geschosse ihre Haut getroffen hatten, entkommen zu sein. Zitternd vor Kälte und Angst schmiegte sie sich eng an die Seite des jungen Medicus.
    Inmitten der schreienden Menschenmasse hastete nun auch Kaplan Grumper zurück in das sichere Kirchenschiff.
    Von der Wehr hatte seine Arme immer noch schützend um Luzia gelegt und wartete,

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