Seelenfeuer
vielleicht sogar als Einkäufer einem Handelszug mitgeben. Herrgott noch mal! Das Glück schien ihm wie Sand durch die Finger zu rieseln, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Erst der Überfall, und dazu noch dieses verdammte Unwetter. Hofmeister war sich sicher, wäre nicht auch noch das Hagelunwetter dazugekommen, sähe es bedeutend besser aus. Der Sturm hatte die Versorgung der Verletzten verzögert. Während der Hagel über das Land gefegt war, blieb einem Großteil seiner Kaufmänner und Begleiter nur, den Schutz des Waldes zu suchen, und danach waren die meisten Wege unpassierbar. Jetzt bestand sein Verlust nicht nur aus geraubten und verdorbenen Waren, jetzt fehlte ihm auch eine vertrauenswürdige Gruppe, welche er zu seinen Außenlagern in Spanien oder Frankreich schicken konnte, um die verlorenen Waren zu ersetzen. Wenn er an den unvorstellbaren Verlust dachte, den er erlitten hatte, wurde ihm ganz anders.
In den hohen und weitläufigen Räumen des Spitals herrschte ein Lärm wie auf dem Schlachtfeld. Einige Männer schrien
sich fast die Seele aus dem Leib, manche, vor allem die jüngeren, weinten vor Schmerz und Verzweiflung. Die Luft war getränkt von den Ausdünstungen ungewaschener Leiber und hing wie eine Dunstglocke aus Urin und Erbrochenem in den mit dunklem Fachwerk durchzogenen und nur schwach erleuchteten Räumen. Obwohl die Türen und Fensterluken weit geöffnet waren, schien die Luft darin zu stehen. Während die leeren weißen Wände bereits überall vom Leid der Verletzten erzählten, färbte sich nun selbst der helle Boden aus groben Lärchenbrettern rot.
Johannes von der Wehr tauchte seine Hände in den Eimer mit frischem Wasser. Er wusste nicht mehr, wie oft er das an diesem Tag schon getan hatte. Vor Erschöpfung und Durst verschwammen ihm die Bilder vor den Augen. Er setzte sich an einen Tisch und ließ sich einen Krug Wasser, Papier und Feder bringen.
Mit zitternden Händen begann Luzia, das graue Papier zu entrollen. Briefe bedeuteten selten etwas Gutes. Weil sie nicht Herrin ihrer Aufregung wurde, fiel es ihr bereits zum zweiten Mal aus der Hand. Es stammte ganz eindeutig aus den Papiermühlen der Stadt und war mit schwarzer Tinte in eleganten Buchstaben beschrieben. Als sie sah, dass das Schreiben von Johannes von der Wehr kam, schluchzte sie vor Erleichterung auf. Sie hatte ihn seit dem Vorabend, als er sie vor dem Hagel beschützt hatte und sie ihm so nahe gewesen war, nicht mehr gesehen. Sie ahnte, dass er im Spital alle Hände voll zu tun hatte.
Hastig las sie, was er schrieb.
Werte Jungfer Gassner,
bitte verzeiht, dass ich nicht selbst komme. Ich hoffe, Ihr konntet den ersten Schock nach dem Unwetter hinter Euch lassen und es geht Euch den Umständen entsprechend gut.
Um wenigstens die größte Not zu lindern, arbeiten die Brüder des Antoniterordens und ich selbst im Spital. Bei der Versorgung der Verwundeten geben wir unser Möglichstes, dennoch reicht unsere Kraft nicht, um allen helfen zu können. Daneben befinden sich noch zwei Frauen unter den Verwundeten, ihnen wurde Gewalt angetan. Sicher wäre es weitaus angenehmer, wenn sich eine Frau ihrer Leiden annähme. Darüber hinaus wäre eine weitere helfende Hand sehr von Vorteil. Jungfer Luzia, bitte verzeiht, dass ich dabei an Euch dachte, aber darf ich Euch bitten, sofern es Eure Zeit zulässt, uns im Spital zu unterstützen? Ich wäre Euch zu ewigem Dank verpflichtet. Bitte kommt bald.
Meine Gedanken sind immer bei Euch.
Euer Johannes von der Wehr.
Als sich Luzia wenig später durch die Straßen kämpfte, glaubte sie im Matsch zu versinken. Er stand immer noch knöchelhoch und schmatzte bei jedem ihrer Schritte. Sie kletterte über gesplitterte Holzbalken und haufenweise Steine hinweg, um in die Herrenstraße zu gelangen. Männer, Frauen, selbst kleinere Kinder waren immer noch dabei, die Wege durch die Stadt wieder befahrbar zu machen. Auf dem Rathausplatz stapelten ein paar Männer Geröll und Ziegelsteine. Die Wucht des Hagels hatte einen Teil des kleinen Gerichtserkers
zerstört, von dem aus der Ammann den Stab als Symbol für das zu vollstreckende Todesurteil brach.
»Gott zum Gruße, Jungfer Gassner!«, sprach sie der Weber Alois an. Er half den Männern mit den Steinen. »Dann kommen also selbst nach so einem Unglück wieder Kinder auf die Welt.«
Luzia schüttelte den Kopf.
»Nein, ich bin auf dem Weg zum Antoniterspital. Dorthin haben sie gestern die Verwundeten des Handelszuges
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