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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Haller
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auf das andere. »Auch um ihn müssen wir trauern«, sagte er geknickt und bekreuzigte sich.
    Von der Wehr presste die Kiefer aufeinander und nickte schwach. »Ihr habt Euer Bestes gegeben, es ist nicht Eure Schuld«, versuchte er den Ordensbruder aufzurichten.
    »Da habt Ihr völlig recht!«, begann der Mönch in einer
Heftigkeit, die ihm der Medicus niemals zugetraut hätte. »Nichts geht mehr mit rechten Dingen zu. Weder das Unwetter noch der Überfall waren in meinen Augen Zufall. Bei meiner Seele, einen solchen Hagelsturm habe ich meiner Lebtage nicht gesehen! Ich sage Euch, es ist etwas Gefährliches, etwas sehr Böses unter uns. Geht hinaus und Ihr werdet es riechen. Auf der anderen Seite des Sees erzählt man sich von einem teuflischen Weib, das für die ganze Misere verantwortlich sein soll. Die Unholdin soll mit einem Wetterzauber die sintflutartigen Regenfälle der letzten Zeit herbeigerufen haben!« Anselm steigerte sich immer weiter in eines seiner liebsten Gespräche.
    »Lasst uns ein andermal darüber sprechen, im Moment wird meine Aufmerksamkeit hier benötigt«, beendete der Medicus die Unterhaltung, welche in seinen Augen völlig sinnlos war. Auch er hatte bereits davon gehört, aber sein Verstand weigerte sich, einen derartigen Unsinn zu glauben.
    Er beugte sich über das verletzte Schlüsselbein des Söldners. Als er die Wunde von Neuem untersuchte, fiel ihm auf, dass der Pfeil nur um Haaresbreite die Arteria subclavia, das unter dem Schlüsselbein verlaufende Gefäß, verfehlt hatte. »Da hattet Ihr aber Glück im Unglück«, erklärte er dem Patienten und nickte ihm zu.
    »Die Arteria subclavia entspringt der Hauptschlagader und ist für die Blutversorgung des gesamten Armes zuständig. Weitere Gefäße zur Durchblutung des Kopfes und des Halsbereichs zweigen von ihr ab«, hörte von der Wehr die Stimmen seiner Lehrer, die sich auch auf die Lehren des Guy de Chauliac bezogen, der mit seiner Chirurgia Magna ein Monument seiner Zeit geschaffen hatte. De Chauliac hatte die
Pest überlebt und empfahl bereits im Jahr 1363 die Mandragora zur Schmerzstillung bei chirurgischen Eingriffen.
    Nachdem von der Wehr die tiefe Wunde genäht hatte, ordnete er einen dicken, weingetränkten Verband an. Die Naht selbst bestrich er mit einer Mischung aus Honig und Arnika.
    Für die Länge eines Atemzugs schloss er die Augen. Sie brannten, als habe er sie mit Seife behandelt. Er hob die Schultern. Es wunderte ihn nicht, schließlich war er seit vielen Stunden auf den Beinen. Nicht einen Schluck Wasser hatte er zu sich genommen, dafür klebte ihm jetzt die Zunge wie ein trockener Schwamm am Gaumen und machte das Schlucken schwer.
     
    Die Tür schwang auf, und Friko Hofmeister stand betroffen und bleich wie ein Leichentuch im Erdgeschoss des Spitals. Hofmeister stand dem Neunerausschuss der Ravensburger Handelsgesellschaft vor, der ein Teil des aus Saragossa kommenden Handelszugs gehörte.
    »Wo ist der Doktor?«, wollte er wissen.
    Bruder Anselm verwies ihn in die hinteren Räume, wo der Medicus gerade dabei war, eine klaffende Kopfwunde zu nähen.
    Hofmeister, der aus dem Geschlecht der großen Ravensburger Kaufmannsfamilie stammte, wusste, wie gefährlich die wochenlangen Gütertransporte waren. Die Hofmeisters hatten zusammen mit der Familie Salzmann aus Konstanz und der in Buchhorn ansässigen Kaufmannsfamilie Zainer bereits im Jahre des Herrn 1380 die Ravensburger Fernhandelsgesellschaft gegründet. Friko fühlte sich seinen Leuten verpflichtet und wollte sich wenigstens nach ihrem Befinden
erkundigen. Das verlangte schon seine Stellung in der Stadt. Freilich hatte auch ihn die Erinnerung an das verheerende Unwetter noch im Griff, aber das musste jetzt warten. Zuerst wollte er wissen, ob seine besten Leute mit dem Leben davongekommen waren. Andernfalls sah er bereits die nächsten Schwierigkeiten auf die Gesellschaft zukommen.
    Als er sich im Eingangsbereich umsah, wusste er, dass seine Hoffnungen vergebens gewesen waren. Dort lagen einige seiner Männer, für die jede Hilfe zu spät gekommen war. Gute Männer, treue Spießknechte, die für den sicheren Transport der Waren aus aller Herren Länder ihr Leben riskiert hatten, lagen tot auf dem blutgetränkten Stroh. Ihnen war es nicht einmal vergönnt gewesen, ihre Sünden zu bekennen. Womöglich schmorten sie in diesem Augenblick bereits in der Hölle! Bei diesem Gedanken fröstelte der dicke Mann. Schnell schlug er das Kreuzzeichen. Er würde den Kaplan bitten,

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