Seelenfeuer
im Spital eine Messe zu lesen. Gleich nachher wollte er ihn aufsuchen. Dieser Gedanke beruhigte Hofmeister ein wenig, er atmete mit einem tiefen Seufzer aus und ging weiter an der Reihe der toten Männer vorbei. Einige der Verstorbenen kamen ihm bekannt vor, viele hatte er mit Namen gekannt.
»Maucher, Ihr Teufelsbraten!« Hofmeister reichte einem Vorübereilenden die Hand. »Wenigstens seid Ihr den Banditen entkommen, und wie ich sehe, ist auch noch alles dran!«, bedeutete er einem seiner festangestellten Söldner.
»Zumindest fehlen mir weder Arme noch Beine.«
»Bei Gott, da hattet Ihr mehr Glück als viele Eurer Kameraden.«
Als Friko Hofmeister den großen Operationssaal betrat, würgte ihn heftige Übelkeit. Schlimmer noch als der Gestank
nach menschlichen Ausscheidungen ekelte ihn der Anblick eines Weidenkorbs von der Größe eines Wagenrades, der in der Ecke stand. Aus ihm ragten abgetrennte Arme und Beine, und um das Weidengeflecht hatte sich bereits eine große dunkelrote Blutlache gebildet. Der Kaufmann schluckte mühsam und schloss einen Moment die Augen. Dann atmete er ein paar Mal tief ein, zog seinen Umhang fest um den Leib und ging auf den jungen Arzt zu.
»Gott zum Gruße, Herr Medicus, wie ich sehe, leistet Ihr hier Großartiges!«
Johannes hob den Kopf und sah den älteren Kaufmann aus ruhigen, grauen Augen an. »Wir alle tun unser Bestes, dennoch sieht es nicht gut aus. Die Wegelagerer haben wirklich ganze Arbeit geleistet.«
Hofmeister nickte und fuhr sich mit beiden Händen durch sein schütteres, graues Haar und den kurz gestutzten Bart. Während er sich zwang, eisern durch den Mund zu atmen, dachte er unentwegt an den Korb in der Ecke.
»Die Brüder und ich mussten bereits Wunden versorgen, dass es nach einem Kampf auf dem Schlachtfeld nicht hätte schlimmer sein können. Einige Eurer Männer sind gestorben, ehe ich überhaupt nach ihnen sehen konnte«, sagte von der Wehr leise und rieb sich die Schweißperlen von der Stirn. »Viele von ihnen haben unmäßig viel Blut verloren. Ob sie überleben werden, ist mehr als fraglich. Uns fehlen ausgebildete Helfer. Wo treibt sich eigentlich Sauerwein herum?«
Hofmeister räusperte sich. »Nun, die Helfer haben einen Teil der Verwundeten ins Heiliggeistspital gebracht, und die lässt Sauerwein jetzt zur Ader. Er weigert sich, die zermalmten
Glieder abzuschneiden. Lieber lässt er den ganzen Kerl verrecken!«, schimpfte er plötzlich wütend.
»Er hat nie gelernt, wie man ein Glied opfert, damit der Mensch weiterleben kann«, erklärte von der Wehr mit einem milden Lächeln.
»Weil Ihr während des Vollmondes ins Gewebe schneidet, schimpft Euch Sauerwein einen elenden Mörder. Er selbst weigert sich, ein Messer auch nur in die Hand zu nehmen.«
»Dann öffnet er die Adern der Männer wohl mit seinen Zähnen«, stellte von der Wehr sarkastisch fest. Er hatte Sauerwein noch nie sonderlich gemocht, und dass der alte Medicus außer den Aderlässen, die er selbst bei einer Leiche noch anwandte, nichts vorzuweisen hatte, wusste Johannes, aber was er sich jetzt leistete, war einfach zu viel. Dieser alte Quacksalber …
»Er hält bereits nach einem fahrenden Baderchirurgen Ausschau, der die Drecksarbeit übernehmen könnte, aber ich fürchte, bis dahin sind jene, die bisher noch kriechen können, längst tot.«
»Da liegt Ihr wohl richtig. Wenn Ihr noch ein paar Eurer Männer retten wollt, veranlasst, dass sie hergebracht werden.«
»Ihr meint …? Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Wann soll ich …?«
»Sofort!«, fiel ihm Johannes ins Wort. »Andernfalls braucht Ihr Euch die Mühe nicht mehr zu machen.«
Hofmeister machte auf dem Absatz kehrt und eilte zur Tür.
»Außerdem wäre eine Versorgung der weniger schwer Verletzten mit einem Teller Suppe nicht zu verachten, und Wein, lasst bitte ein Fass Wein bringen. Die Männer mussten schon
genug leiden, aber Verdursten sollen sie nicht auch noch«, rief Johannes ihm nach.
Der wohlbeleibte Kaufmann drehte sich nicht um, nickte aber. Während er sich auf den Weg machte, um den Wünschen des Arztes nachzukommen, grübelte er über seine Lage nach. Es würde Jahre dauern, ehe er seine Mannschaft wieder so beieinander hätte. Schließlich fingen die Burschen als Lehrlinge bei ihm im Kontor in der Marktstraße an. Erst nach und nach stellte sich heraus, ob einer als Wagenbegleiter taugte. Dafür waren Mut und gute Nerven unerlässlich. Erst dann konnte er den jungen Mann als Kurier und
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