Seelenfeuer
gebracht. Der Medicus schreibt, dass sie für jede Hilfe dankbar sind.«
»In dem Fall stimmt es, dass der Handelszug überfallen wurde?«
Luzia nickte.
»Ein schlechtes Zeichen. Zuerst kam dieses Wetter, das uns alle ins Unglück stürzen wird, und dann auch noch das! Stellt Euch nur vor, um wie viel die Preise nochmals steigen werden.«
Luzia nickte und bestätigte Alois’ Befürchtungen.
»Man munkelt ja bereits, das Wetter sei durch einen Zauber entstanden«, flüsterte Alois Weber vorsichtig, als wolle er keine schlafenden Hunde wecken.
»Wer behauptet denn so etwas?«, fragte Luzia erschrocken.
»Oh, die halbe Stadt spricht schon davon. Und Grete rennt seit der Frühmesse durch die Gassen und erzählt jedem, der es wissen will, Kaplan Grumper behaupte, das Hagelwetter sei das Werk einer Hexe gewesen. Heute Abend wird es eine weitere Messe geben, spätestens dann wird es die ganze Stadt wissen.«
Bei Alois Webers Worten lief es Luzia eiskalt den Rücken hinunter, und als sie hinauf zum Himmel sah, glaubte sie in
den vorbeiziehenden Wolken eine grausige Fratze zu erkennen. Ihr war, als schlugen die Wellen eines kalten, grauen Wassers über ihrem Kopf zusammen und pressten sie auf den sumpfigen Grund.
Hastig verabschiedete sie sich und setzte ihren Weg fort. Als sie wenig später abermals in den Himmel sah, war er dunkelblau und ohne jede Wolke. Eine seltsame Ahnung überkam sie, doch dann schalt sie sich eine Närrin und schob die bedrückende Stimmung lediglich ihren überreizten Sinnen zu.
Jetzt ging es erst einmal darum, den Unglücklichen zu helfen. Luzias Gedanken weilten bereits im Antoniterspital und bei Johannes von der Wehr. Wir oft hatte er ihr vom besonderen Geschick der arabischen Ärzte erzählt. Insbesondere im Bereich der Chirurgie schienen die Männer aus dem Orient große Kenntnisse zu besitzen. Auch ihre Kunde von der Anatomie des menschlichen Körpers schien der abendländischen Medizin weit überlegen. Die arabischen Gelehrten hatten schon früh begonnen, den Körper von innen zu betrachten. Was in der okzidentalischen Medizin lange Zeit als Sünde betrachtet wurde und selbst heute nicht von jedem gern gesehen wurde.
Den Wunsch, Johannes von der Wehr einmal über die Schulter zu sehen, wenn seine chirurgischen Fähigkeiten zum Einsatz kamen, hegte Luzia schon lange. Wobei das nicht der alleinige Grund war, weshalb ihre Hände jetzt feucht und ihr Mund trocken wurden. Allein seine wachen, grauen Augen, die sie wie ein samtenes Tuch einhüllten und ihr das Gefühl gaben, einzigartig zu sein, ließen die Schmetterlinge in ihrem Bauch wieder tanzen …
In der Kirchstraße hatte der Sturm das gesamte Dach des roten Ochsen abgedeckt. Während der Ochsenwirt mit einigen Helfern nach unversehrten Ziegeln Ausschau hielt, warf er der rothaarigen Hebamme ein paar unfreundliche Blicke zu.
Während sie vorübereilte, ohne auf den Weg zu achten, kam ein Windstoß aus dem Nichts, er bauschte ihre Röcke und fuhr ihr mit stürmischen Fingern durchs Haar. Dem kahlköpfigen Ochsenwirt war, als leckten Flammen um den Kopf der jungen Wehmutter. Er hieb seinem Nachbarn in die Seite: »Das ist sie, die Hebamme, die Kaplan Grumper für das Hagelwetter verantwortlich macht«, flüsterte der dicke Ochsenwirt seinem Helfer zu.
»Woher weißt du das?«, fragte der andere erschrocken.
»Die Küferin hat es mir nach der Frühmesse erzählt. Sie weiß es von Grete Muntz, und die trägt lediglich die Worte des Kaplans weiter.«
»Glaubst du das etwa?«, wollte sein junger Nachbar mit der Hakennase und dem blonden Bart wissen.
»Wenn der Kaplan es sagt, wird schon was dran sein«, entgegnete der Wirt mit einem Schulterzucken. »Schließlich ist das Wetter aus dem Nichts gekommen, und so Gott mein Zeuge ist, ich habe noch nie etwas Ähnliches erlebt!«
»Beim Allmächtigen, das habe ich auch nicht«, erwiderte der Blonde und bekreuzigte sich in Erinnerung an das Wetter rasch.
»Siehst du, und irgendjemand muss ja schuld sein.«
14
A ls Luzia im Antoniterspital eintraf, wies ihr Bruder Edmund den Weg zu den hinteren Räumen.
»Danke, dass Ihr gekommen seid«, sagte er erfreut. »Der Medicus erwartet Euch bereits. Folgt einfach dem Gang und Ihr gelangt zu den Krankensälen.«
Luzia schenkte dem Mönch ein warmes Lächeln und eilte weiter. Die rußenden Fackeln in den Wandhalterungen sorgten für eine schaurige Stimmung. Einige Männer warteten immer noch auf dem düsteren Korridor, bis sich jemand
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