Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
Entschlossenheit der Patienten, wieder gesund zu werden, zu überzeugen. Die Blumenkränze und Girlanden sollten die Zuversicht und den Willen der Patienten bezeugen, sich nicht von Krankheit und Leiden besiegen zu lassen; Lachen und Gesang sollten die bösen Geister daran hindern, den Patienten das Leben zu rauben.
    Vieles, was Selene lernte, konnte sie nicht gutheißen; vieles aber beeindruckte sie auch: daß die Kranken statt auf Matten in Betten lagen; daß zur Versorgung der Kranken besonders ausgebildete Pflegerinnen bestellt wurden; daß die Kranken alle in einem Haus waren, so daß die Ärzte ihre Fähigkeiten wirksamer einsetzen konnten. Das alles gab es im Westen nicht, nicht einmal in den Tempeln des Äskulap.
    Selene erlernte auch neue medizinische Praktiken, von denen einige höchst erstaunlich waren.
    Eines Nachmittags beobachtete sie, wie Dr.Chandra Hautverletzungen mit Hilfe von großen Ameisen und Käfern schloß. Er erlaubte Selene, ihm dabei zuzusehen, und erklärte sogar, während er arbeitete.
    »Sobald die Mandible des Käfers die Wundränder zusammenzwickt, dreht man den Körper des Käfers ab und achtet darauf, daß Kopf und Kiefer festgeklemmt bleiben. Sie werden entfernt, wenn die Wunde verheilt ist.«
    Dr.Chandra hatte eine merkwürdige Stimme, und beim Sprechen sah er Selene niemals direkt an, sondern warf ihr nur versteckte Seitenblicke zu. Was in ihm vorging, war schwer zu ergründen. Der buschige Bart verbarg fast das ganze Gesicht, bedeckte sogar noch die Brust. Aber sie ertappte ihn oft dabei, wie er sie anstarrte, und dann versuchte sie, ehe er sich hastig abwandte, seinen Blick zu deuten. Enthielt er Mißtrauen? Neugier? Eifersucht?
    Dr.Chandra war Prinzessin Ranis einziger Freund, der einzige, der sie besuchte. Selene überlegte manchmal, warum er niemals kam, wenn sie bei Rani war. Waren die beiden ein Liebespaar? Nahm er Selenes Eindringen in ihr Privatleben übel? Wußte er, wie Selene, daß die Beine der Prinzessin organisch gesund waren?
    War er vielleicht sogar die Ursache ihrer Unfähigkeit, ihre Beine zu gebrauchen?
    Was immer er sonst sein mochte, Selene erkannte, daß er ein hervorragender Arzt war, und bemühte sich, möglichst viel von ihm zu lernen.

40
    »Am Gilgamesh-Platz in Babylon«, erzählte Selene Rani eines Abends, als sie zusammen Tee tranken, »finden sich alle Kranken und Invaliden zusammen, ähnlich wie in euren
chikisakas.
Aber es gibt keine Methode und kein System in dem Bemühen zu helfen, und oft ist diese Hilfe eher schädlich. Viele werden einfach dem Tod überlassen. In unseren Äskulaptempeln in Syrien spendet der Hilfesuchende dem Priester eine Münze und darf dafür die Nacht in der Zuflucht verbringen. Wenn der Gott dem Kranken erscheint, während er schläft, wird er geheilt. Wenn nicht, so muß er wieder gehen. Der Gott kann in der Gestalt eines Arztes oder eines Priesters erscheinen, aber es ist abhängig von den Fähigkeiten des Arztes, und die Patienten gehen immer ein großes Wagnis ein.«
    »Dann heißt du also unsere Methoden gut?«
    »Die Einrichtung der
chikisakas,
ja. Zu Hause in Antiochien mußte meine Mutter durch die ganze Stadt laufen, um ihre Patienten zu besuchen. Viele lebten allein und hatten keinen Menschen, der sich um sie kümmerte; selbst die, welche Geld hatten, wurden von Menschen versorgt, die nichts davon verstanden. Bei uns gibt es keine ausgebildeten Pflegerinnen wie bei euch im Pavillon. In meinen Fieberträumen hatte ich die Vision von einem großen Haus, einem Tempel oder einem Palast ähnlich. Eine Stimme sprach zu mir – oder vielleicht hörte ich auch meine eigenen Gedanken –, und sie sagte: Alabastermauern, die in der Sonne leuchten.«
    »Was bedeutet das?«
    »Erst dachte ich, ich hätte einen Blick in die Zukunft getan und ein Haus gesehen, das ich eines Tages aufsuchen würde. Als ich hier in den Palast kam, glaubte ich, er wäre das Haus meiner Vision. Aber jetzt glaube ich das nicht mehr. Ich denke, es war vielleicht gar nicht das Bild eines realen Ortes, sondern eher das einer Idee. Als ich den Pavillon sah und von euren
chikisakas
hörte, wurde es mir klar: Ich werde eines Tages selber ein
chikisaka
einrichten, in Antiochien, wo die Kranken und die Invaliden Pflege und Ruhe finden können.«
    Rani seufzte. Sie bewunderte Selenes hohe Ziele und beneidete sie um die Möglichkeit, diese Ziele zu verfolgen. Wie anders mein eigenes Leben verlaufen wäre, dachte sie niedergeschlagen, wäre ich in ihre

Weitere Kostenlose Bücher