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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Welt hineingeboren statt in meine.
    Draußen begann es leise zu regnen. Selene stellte ihre Teetasse ab und trat zu den seidenen Vorhängen.
    »Wann brecht ihr auf?« fragte die Prinzessin.
    »Morgen.«
    »Dann habt ihr also einen guten Reiseweg gefunden?«
    Selene drehte sich nicht um, sondern sprach in den Regen hinaus. »Wulf und ich schließen uns der Karawane eines Mannes namens Gupta an. Er kennt die Straße durch Armenien gut und hat den Gebirgsbanditen ein Schutzgeld bezahlt. Er hat uns versprochen, daß wir das Schwarze Meer sicher und wohlbehalten erreichen werden.«
    »Und dann?«
    Selene blickte noch einen Moment in den Regen hinaus, ehe sie sich Rani zuwandte. »Dort an der Küste wird Wulf sich ein Schiff suchen, das ihn über das Meer zur Donau bringt. Ich reise südwärts weiter, nach Cilicia. Ich werde noch vor dem Frühjahr in Antiochien sein.«
    Die beiden Frauen sahen einander an.
    »Du wirst mir fehlen«, sagte Rani.
    »Du mir auch.«
    Rani senkte die Lider. Sie hatte daran gedacht, Selene zu überreden, eine Weile in Persien zu bleiben, aber sie kannte Selenes Geschichte, wußte von Andreas und der Elfenbeinrose, die das Geheimnis von Selenes Geburt barg, wußte auch von Selenes Versprechen an die sterbende Mera, ihrer Berufung zu folgen. Eine verheißungsvolle, reiche Zukunft lag vor Selene, und Rani hatte nicht das Recht, ihr auch nur einen Tag dieser Zukunft zu verweigern. Sie selbst hatte keine Zukunft, hatte nie eine gehabt. Von der Stunde ihrer Geburt an war ihr Weg, da sie als Mädchen zur Welt gekommen war, vorgezeichnet gewesen – heiraten, Kinder bekommen, in Unwissenheit verharren.
    Vor langer Zeit hatte Rani ihr Schicksal verflucht. Doch mit den Jahren hatten Zorn und Bitterkeit sich gelegt, und sie hatte gelernt, dankbar zu sein für das, was sie hatte. Wenn sie auch weder Mann noch Kinder hatte, in diesem Teil der Welt als ein nutzloses Geschöpf angesehen wurde, das keiner Achtung wert war, so lebte sie dennoch, konnte Bücher lesen und das Gespräch mit einem gelehrten Mann pflegen. Selenes Ankunft jedoch hatte die Flammen des Zorns von neuem entfacht; an ihr Ruhebett und diese wenigen abgeschiedenen Räume gefesselt, verfluchte Rani abermals die Gesellschaft, die sie hervorgebracht hatte.
    Und sie dachte auch: Ich habe mich getäuscht. Selene ist nicht die, welche die Sterne angekündigt haben. Sie ist nicht die, welche Dr.Chandra von hier fortführen wird.
    Die beiden Frauen versanken in Schweigen, die Prinzessin auf ihrem Ruhebett, Selene auf der anderen Seite des Raumes, wieder in den Regen hinausblickend. Körperlich waren sie einander nahe, im Geist waren sie weit getrennt. Während Rani schon über den bevorstehenden Verlust der neu gefundenen Freundin trauerte, kämpfte Selene mit der schweren Entscheidung, die sie treffen mußte.
    Denn nun kann ich nicht mehr mit Wulf fortgehen, dachte sie trostlos. Gestern hätte ich noch mit ihm nach Armenien ziehen können; aber heute ist alles anders.
    Sie drehte sich um und betrachtete Rani, fragte sich, ob sie ihr ihr Geheimnis anvertrauen, sie um ihren Rat bitten sollte. In den wenigen Wochen ihres Aufenthalts im Palast hatte Selene die ruhige Stärke und die Weisheit Ranis schätzen gelernt. Jahrelang in diesem unbeweglichen Körper gefangen zu sein, in völliger Einsamkeit zu leben, dieses Schicksal, meinte Selene, konnte nur eine Frau mit großer innerer Stärke meistern.
    Wie hält man ein solches Leben aus? dachte Selene, während sie Ranis kleinen runden Kopf mit dem ergrauenden schwarzen Haar betrachtete, das im Nacken zu einem Knoten gesteckt war. Wie hält man es aus, dreißig Jahre lang in diesen beschränkten Räumen zu leben und nur von einem einzigen Menschen besucht zu werden?
    Ihre Gedanken schweiften wieder einmal zu Dr.Chandra. So still und unaufdringlich der Mann war, er wollte Selene nicht aus dem Kopf.
    In diesen vergangenen Wochen hatte er kaum mit Selene gesprochen. Sie vermutete, der Grund war, daß es unter seiner Würde war, an eine Frau wie sie – eine Ausländerin von niedrigem Stand – das Wort zu richten. Aber gleichzeitig interessierte sie ihn, das wußte Selene. Ganz gleich, wann sie in den Pavillon kam, immer war Dr.Chandra da, stand schweigend in seiner Ecke und beobachtete sie. Und fast jeden Abend, wenn Selene die Prinzessin besuchte, stellte diese ihr Fragen über das, was sie im Lauf des Tages im Pavillon erlebt hatte, Ereignisse, die Dr.Chandra beobachtet und Rani schon geschildert

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