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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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und versteckt. Um ihn großzuziehen und auf den Tag vorzubereiten, wo er auf sein rechtmäßiges Erbe in Rom Anspruch erheben sollte. Darum nämlich befahl Augustus, ihn zu töten. Cäsarion hätte ihm die Herrschaft streitig machen können. Aber der Prinz entkam.«
    Andreas trat ins Licht. »Dann wäre es denkbar, daß Tiberius davon erfahren hat. Seine Spitzel könnten Wind davon bekommen haben, daß der Prinz noch am Leben war. Vielleicht sandte Tiberius Soldaten aus. Sie kamen nach Alexandria und zwangen Cäsarion und seine Frau zur Flucht. Doch in Palmyra holten sie die Flüchtlinge ein …«
    Selene blickte immer noch auf das Standbild der Göttin. »Ist es möglich?« flüsterte sie. »Ist diese Frau die Mutter meines Vaters?«
    »Ihr voller Name«, sagte Mutter Mercia, »lautete Kleopatra Selene. Und der Name ihres Bruders war Ptolemaios Helios.«
    Die Steinkammer erschien Selene plötzlich stickig. Der Rauch der Fackeln drehte sich in Wirbeln um ihren Kopf, der starke Duft des Weihrauchs benahm ihr den Atem. Sie schwankte. Andreas legte den Arm um sie und hielt sie fest.
    Als sie wieder im Zimmer Mutter Mercias waren, schüttelte Selene benommen den Kopf. »Ich kann es nicht glauben«, murmelte sie.
    »Der Ring ist der Beweis«, entgegnete die Tempelvorsteherin, »und dein Name. Hinzu kommt deine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der Königin.«
    Selenes Stimme kam wie aus weiter Ferne. »Die Heilerin, die mich zur Welt brachte, erzählte mir, wie meine Mutter mir gleich nach meiner Geburt meinen Seelennamen ins Ohr flüsterte. Welcher Name war das, Mutter Mercia?«
    Die Tempelvorsteherin sah Selene fest in die Augen. Die Antwort hing unausgesprochen in der Luft.
    »Bin ich Kleopatra Selene? Und ist mein Bruder Ptolemaios Helios?« Selene blickte von Mutter Mercia zu Andreas. »Aber warum haben die Soldaten nur meinen Vater getötet und meine Mutter und meinen Bruder verschont? War nicht mein Bruder ebenfalls eine Bedrohung für Tiberius?«
    »Ich weiß nicht, warum sie nicht getötet wurden«, erwiderte Andreas. »Eine Bedrohung waren sie ganz gewiß.«
    »Und ich?« fragte Selene. »Bin ich jetzt auch eine Bedrohung für die Herrscher in Rom?«
    Sie saßen stumm da und lauschten dem sachten Atem der heißen Sommernacht. Jenseits der Tempelmauern lag Alexandria in nächtlichem Schlummer. Ein leichter Meereswind bewegte die Palmen und kräuselte das mondhelle Wasser.
    Schließlich sagte Selene: »Das also meinte meine Mutter. Als sie sterbend in der Wüste vor Palmyra lag, sagte sie mir, Isis wäre meine Göttin. Sie hätte ein besonderes Interesse an mir.«
    »Deine Großmutter
war
Isis, Selene«, erklärte Mutter Mercia. »Kleopatra wurde zu ihren Lebzeiten von Millionen als Göttin verehrt. Und dein Großvater, Julius Cäsar, war ein Abkömmling der Venus. Die beiden Göttinnen wachen über dich, Selene. In deinen Adern fließt das Blut von Göttern und Königen.«
     
    Sie standen im Hof des Tempels. Die Morgenröte war nicht mehr fern. Bald würde Venus über den Wipfeln der Palmen sichtbar werden. Selene war immer noch wie betäubt. Ihre ganze Welt hatte sich verändert. Und auch sie war nicht mehr dieselbe.
    »Was wirst du jetzt tun?« fragte Andreas leise.
    »Ich weiß es nicht. Ich hatte gedacht – ich hatte es mir so anders vorgestellt. Ich meine, den Moment der Erkenntnis, wer ich wirklich bin. Wozu ich in diesem Leben bestimmt bin. Ich hatte alle möglichen Bilder. Aber so habe ich es mir nie gedacht.«
    Andreas stand dicht neben ihr; aber er berührte sie nicht, er nahm sie nicht in die Arme, wie er das so gern getan hätte. Sag nur ein Wort, Selene, flehte er stumm, und ich werde den Befehl des Kaisers mißachten und bei dir bleiben. Wir suchen uns einen versteckten Ort, weit oben am Nil, wo niemand uns findet und wir in Liebe und Frieden zusammenleben können. Ich werde die Vergangenheit vergessen, den Schmerz und den Zorn. Sag nur ein Wort, Selene …
    Selene wußte, daß sie nur eine leichte Bewegung zu machen brauchte, um ihn zu berühren. Bitte mich, mit dir zu reisen, Andreas, dachte sie. Sag nur ein Wort, und ich verlasse Alexandria und die Götter und mein Schicksal, um dir zu folgen.
    »Du hast eine große Gabe, Selene«, sagte er. »Aber hier, in dieser Stadt voller Heilkundiger, vergeudest du sie. Du bist zu bedeutenderen Taten geboren. Das Krankenasyl im Tempel kann jetzt auch ohne dich sein; du hast andere ausgebildet, deinen Platz einzunehmen.«
    Sein Ton war eindringlich und

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