Seelenfeuer
Knistern der Fackeln war in der Stille zu hören.
Claudius sagte: »Ich hätte nicht gedacht, daß Kinder der Königin überlebt haben. Wer war dein Großvater?«
Selene hob ihre Halskette über den Kopf, nahm den goldenen Ring ab und reichte ihn Claudius.
Er hielt ihn dicht vor die zusammengekniffenen Augen. »Wie? Dieser Ring gehörte dem göttlichen Julius Cäsar. Oder er sieht jedenfalls genauso aus.« Er sah Selene an. »Was hat das zu bedeuten?«
»Mein Großvater war Julius Cäsar.«
Erstauntes Gemurmel ging durch die Menge, breitete sich aus wie die Kräuselwellen eines stillen Sees, in den man einen Stein geworfen hat, bis selbst jene weit flußabwärts leise Worte der Verwunderung miteinander tauschten.
»Ich spreche die Wahrheit, Cäsar«, sagte Selene mit lauter Stimme. »Mein Vater war Prinz Cäsarion, Sohn Kleopatras und Julius Cäsars. Er wurde nicht getötet, wie der Göttliche Augustus befohlen hatte, sondern man brachte ihn fort und versteckte ihn. Ein Sklave wurde an seiner Stelle getötet. Im Jahr von Augustus’ Tod sandte Tiberius Soldaten aus, Cäsarion zu töten. Er floh mit seiner Frau aus Alexandria nach Palmyra, und dort wurde ich geboren.«
Claudius musterte sie einen Moment, dann sagte er bedächtig: »Mein Onkel Tiberius hatte viele Feinde. Ich weiß, daß er behauptete, von der Existenz Cäsarions, des einzigen lebenden Nachfahren Julius Cäsars, gehört zu haben, und daß er aus Angst vor einem Rivalen, der ihm die Herrschaft streitig machen konnte, Soldaten aussandte, um den Mann töten zu lassen. Aber es wurde ihm nie ein Beweis gebracht, daß der Mann, den sie getötet hatten, wirklich Cäsarion war.«
»Hier ist der Beweis, Cäsar«, sagte Selene und wies auf den Ring. »Kurz vor seinem Tod gab mein Vater diesen Ring der Hebamme, die mich gerade zur Welt gebracht hatte, und sagte ihr, er sei mein Vermächtnis.«
Claudius betrachtete sie mit skeptischem Blick. »Wann war das? In welchem Monat?«
»Es war im August des ersten Regierungsjahres von Tiberius.«
Claudius nickte. Er war Historiker und Gelehrter; er hatte Daten und Ereignisse im Kopf. »Das war die Zeit, wie du sagst. Dennoch – es wäre möglich, daß du den Ring machen ließest.«
»Möglich wäre es, aber ich habe es nicht getan.«
»Das ist immer noch kein Beweis. Hast du sonst keine Beweise?«
Sie schwieg einen Moment. »Nein, Cäsar.«
»Kann jemand für dich bürgen?«
»Ich, Cäsar.« Alle Köpfe drehten sich nach Andreas, der jetzt vorgetreten war. »Sie spricht die Wahrheit. Ich war in Alexandria, als Selene die Wahrheit über ihre Herkunft erfuhr«, sagte er. »Das war erst im letzten Jahr. Vorher war ihr selber unbekannt, wer sie ist.«
»Und was für Beweise gibt es in Alexandria?« fragte Claudius.
»Ihre Ähnlichkeit mit der Königin Kleopatra. Sie ist augenfällig.«
Während Claudius Selene stumm betrachtete, setzte bei den Massen ein Raunen ein, das rasch lauter wurde und von einer Woge winkender Arme getragen zur kaiserlichen Tribüne hinaufbrandete.
»Julius Cäsar, Julius Cäsar«, schrien die Menschen ohne Aufhören und stießen dazu im Takt die Fäuste in die Luft.
Selene drehte sich um und blickte staunend auf die Menge. Den Fluß hinauf und hinunter, standen Tausende von Römern und riefen in immer gleichem Rhythmus: »Julius Cäsar, Julius Cäsar.«
»Mir scheint«, bemerkte Claudius trocken, »Rom glaubt deiner Behauptung.«
Er schürzte die Lippen und blickte nachdenklich zu der tobenden Menge hinunter. Er glaubte Selenes Geschichte nicht, aber das Volk nahm sie offensichtlich für bare Münze. Claudius erkannte sogleich, daß es für ihn selber nur von Vorteil sein konnte, wenn er dem Volk seine neue Heldin ließ. Indem er diese Frau als das akzeptierte, was sie zu sein vorgab, konnte er seine eigene Beliebtheit bei den Römern untermauern. Darum legte er ihr eine Hand auf die Schulter und rief mit lauter, klarer Stimme: »Seht, wie Rom die Enkelin Julius Cäsars willkommen heißt.«
Dann neigte er sich näher zu Selene und fügte hinzu: »Du wirst bis zum Ende des Spektakels an meiner Seite sitzen. Und wenn die Feierlichkeiten vorüber sind, dann komm in den Palast. Niemand außer dir darf meinen Sohn berühren.«
Britannicus erholte sich rasch von seinem unfreiwilligen Bad. Einer nach dem anderen ging, Leute, die den ganzen Abend um ihn herum gewesen waren: Claudius und Messalina, Agrippina und ihr mürrischer Sohn, die Hofärzte, und die Sklaven. Nur Selene und
Weitere Kostenlose Bücher