Seelenfeuer
seine Enkelin verehrten. Dann nahmen sie wie gescholtene Kinder kleinlaut die Arbeit wieder auf.
»Ich werde wohl die Priester holen müssen, um die bösen Geister austreiben zu lassen. Nur so kann ich die Männer dazu bewegen, am Domus weiterzuarbeiten.«
Ulrika, die Arm in Arm mit ihrer Mutter durch den Garten ging, fragte: »Aber wer kann denn da dahinterstecken?«
Selene schüttelte den Kopf. Ihr Blick war auf das hell erleuchtete Speisezimmer gerichtet, wo Paulina mit ihren Gästen wartete, aber sie sah sie nicht. Sie sah vielmehr das obszöne Ding, das sie vor kurzem in den Fluß geworfen hatte, und fragte sich, welche schrecklichen Dinge der nächste Morgen bringen würde.
Drei martialisch aussehende Männer, die im Innenhof beieinanderstanden und debattierten, unterbrachen ihr Gespräch, als Ulrika und Selene sich näherten, und stellten sich Selene vor. Als Vatinius seinen Namen nannte, sah Selene ihn starr an.
Einen Moment lang betrachtete sie ihn stumm. Zu ihrer Überraschung war er ein ungewöhnlich schöner Mann.
»Befehlshaber Vatinius?« sagte sie. »Habe ich nicht schon von dir gehört?«
Der Militärtribun lachte, daß die weißen Zähne in seinem braungebrannten Gesicht blitzten. »Wenn nicht, Julia Selena, wäre er niedergeschmettert. Unvorstellbar, daß es in Rom auch nur eine schöne Frau gibt, die noch nicht von Gaius Vatinius gehört hat!«
Sie ignorierte den Mann und hielt den Blick auf Gaius Vatinius gerichtet. Sein Gesicht war von einer strengen Schönheit, seine Haltung verriet Hochmut. Um seine Lippen spielte ein Lächeln.
»Bist du vielleicht«, hörte Selene sich fragen, »der Gaius Vatinius, der vor einigen Jahren am Rhein kämpfte?«
Sein Lächeln vertiefte sich. »Du hast also doch von mir gehört«, stellte er fest.
Selene schloß die Augen. Wulf, dachte sie, was ist geschehen? Bist du nie nach Germanien zurückgekommen? Ach, Wulf! Du hast deine Rache nie bekommen …
Gaius Vatinius wandte sich Ulrika zu, musterte sie mit unverhohlenem Wohlgefallen von Kopf bis Fuß. Im nächsten Moment meldete ein Sklave, daß das Mahl serviert sei, und die drei Männer entschuldigten sich, um ins Speisezimmer zu gehen.
»Mutter«, sagte Ulrika erschrocken, als sie Selenes bleiches Gesicht sah. »Ist dir nicht gut?«
»Doch, doch, es geht mir sehr gut.«
»Du denkst an das Domus.«
»Nein.«
Ulrika sah den drei Männern nach, die ins Speisezimmer traten. »Haben sie dich erschreckt?« fragte sie. »War es Gaius Vatinius?«
Selene zwang sich zu einem Lächeln. »Niemand hat mich erschreckt, Ulrika. Ich fühle mich ganz wohl. Komm, gehen wir hinein.«
»Wer ist dieser Gaius Vatinius?«
Selene mied den Blick ihrer Tochter, als sie antwortete: »Er befehligte früher die Legionen am Rhein. Aber das war lange vor deiner Geburt.«
Vier Tische standen in dem großen Raum, jeder auf drei Seiten von Ruhebetten flankiert. Die Plazierung der Gäste erfolgte nach strengem Protokoll, wobei die Ehrengäste jeweils auf dem linken Rand eines Betts lagen. Die vierte Seite eines jeden Tisches war frei, damit die Sklaven ungehindert Speisen und Getränke servieren konnten.
Als sie das Speisezimmer betraten, gesellte sich Andreas zu ihnen und legte Ulrika den Arm um die Taille.
»Ich sehe«, flüsterte er ihr zu, »daß Paulina Odius und Odia eingeladen hat.«
Ulrika lachte. Es war ein privater Scherz zwischen ihnen. Sie konnten beide Maximus und Juno nicht leiden.
Sie drückte seinen Arm und warf ihm einen verschwörerischen Blick zu. Ulrika liebte ihren Stiefvater. Anfänglich hatte sie in Andreas einen Eindringling gesehen, aber bei der Hochzeitsfeier in Ostia hatte die Liebe in seinen Augen jedesmal, wenn er Selene ansah, sie so tief bewegt, daß alle Feindseligkeit ein für allemal verflogen war.
Andreas war ein feiner Mensch, gütig und sanft. Und sein Wissen war profund. Seine Encyclopädie, beinahe vierzig Bände mittlerweile, versprach das umfassendste Werk auf dem Gebiet der Medizin zu werden, das bisher geschrieben worden war. Ulrika half Andreas oft bei seiner Arbeit, schrieb nach seinem Diktat, las Korrektur und machte eigene Vorschläge. Er hörte immer auf sie und schätzte ihr Interesse.
»Aber wer sind denn diese drei?« fragte er sie und wies mit dem Kopf auf die drei Militärs in den scharlachroten Togen mit den goldenen Litzen, die sich benahmen, als wären sie die Herren des Hauses.
»Soldaten«, antwortete Ulrika und begab sich zu ihrem Platz.
Der Ehrenplatz an ihrem
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