Seelenfeuer
Tisch wurde von Gaius Vatinius eingenommen. Selene, die ihm als Tischdame zugedacht war, hatte ihren Platz links von ihm, Ulrika saß ihrer Mutter gegenüber. Dazwischen waren Maximus und Juno, der Zenturio und Aurelia, eine ältere Witwe, plaziert.
In der Mitte des Tisches prangte ein gebratener Fasan in seinem Federkleid, umgeben von Platten und Schalen mit verschiedenen Speisen, von denen die Gäste sich mit den Fingern nahmen. Die Gespräche von sechs- unddreißig Personen füllten den Raum und übertönten beinahe die Klänge der Panflöte, auf der ein einzelner Musiker in der Ecke des Saales spielte, während vierzig Sklaven lautlos von Tisch zu Tisch eilten, um die Speisenden zu bedienen.
Ulrika konnte den Blick nicht von Gaius Vatinius wenden.
»Ich sage euch, es ist eine Last«, erklärte er seinen Tischgenossen gerade. »Unter Tiberius unterzeichneten wir Friedensverträge mit den Barbaren, und jetzt brechen sie sie. Caligula plante, wie ihr vielleicht wißt, den Rhein zu überschreiten und die ›freien‹ Germanen zu unterjochen. Hätte er diese Pläne nur verwirklicht! Dann wäre ich jetzt nicht gezwungen, dorthin zurückzukehren.«
Als Gaius Vatinius Ulrikas aufmerksamen Blick bemerkte, verstummte er und starrte sie seinerseits an. Er wußte ihre aparte Schönheit wohl zu würdigen – das lichtbraune Haar und die blauen Augen. Ein Blick auf ihre linke Hand verriet ihm, daß sie unverheiratet war, was ihn angesichts ihres Alters überraschte.
Er bedachte sie mit seinem charmantesten Lächeln und sagte: »Ich langweile dich mit meinen Soldatengesprächen.«
»Durchaus nicht«, versicherte Ulrika. »Das Rheinland hat mich immer schon interessiert.«
Sein Blick wanderte zu ihrem Busen und blieb dort liegen, während er sagte: »Vielleicht möchtest du dir einmal meine Bücher zu diesem Thema ansehen.«
Aurelia rief: »Warum können sie nicht Ruhe geben und sich wie zivilisierte Menschen benehmen? Man sieht doch, was wir für die Welt getan haben. Unsere Aquädukte, unsere Straßen.«
Ulrika sah zu ihrer Mutter hinüber und bemerkte mit Schrecken, wie bleich sie war. Sie aß keinen Bissen, und ihr Wein war unberührt.
»Sie waren lange friedlich«, versetzte Gaius Vatinius, »aber es scheint, daß sie jetzt von einem Rebellenführer aufgewiegelt werden.«
»Und wer ist das?« fragte Maximus.
»Wir wissen nicht, wer er ist, und kennen auch seinen Namen nicht. Wir haben ihn noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Er kam ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, und führt jetzt die germanischen Stämme in neue Rebellion. Sie greifen an, wenn wir es am wenigsten erwarten und verschwinden dann spurlos in den Wäldern. Späher, die wir ausschicken, ihre Lager aufzuspüren, kehren niemals zurück. Die Lage spitzt sich zu, deshalb hat Pomponius Secundus, der Statthalter in Germanien, mich zurückgerufen, den Oberbefehl über die Legionen zu übernehmen.«
Gaius Vatinius trank einen Schluck Wein, wartete, bis eine Sklavin ihm die Lippen gewischt hatte und fügte dann selbstsicher hinzu: »Aber ich werde diesen Rebellenführer aufstöbern, und wenn es soweit ist, werde ich an ihm ein Exempel statuieren zur Abschreckung aller, die an Aufstand und Rebellion denken. Ich werde diesem Unfug ein für allemal ein Ende bereiten.«
»Und wieso bist du so sicher, Gaius«, fragte Ulrika, »daß du diesmal Erfolg haben wirst?«
»Weil ich einen besonderen Plan habe. Es ist kein Zufall, daß der Kaiser mich auswählte, die Rheinlegionen zu führen. Meine Stärke ist die Taktik, und bei diesem Feldzug ist überlegenes Geschick notwendig.«
Ulrika starrte ihn an. Dieses anmaßende Großmaul wollte das Volk ihres Vaters unterjochen. Lächelnd sagte sie: »Ich habe gehört, daß die Barbaren schlau sind, Gaius. Wie planst du, sie zu überlisten, daß du deines Sieges so gewiß bist?«
Sein Lächeln war eine unzweideutige Aufforderung. »Mein Plan kann nicht scheitern, da er auf dem Element der Überraschung fußt.«
Ulrika zwang sich zur Ruhe; tat so, als wäre ihr Interesse rein theoretischer Natur. »Ich könnte mir vorstellen«, meinte sie und griff nach einer Olive, »daß die Barbaren mittlerweile sämtliche Taktiken der Legionen bestens kennen, selbst jene, die auf dem Überraschungsmoment basieren.«
»Mein Plan ist etwas ganz Neues.«
»Inwiefern?«
Er schüttelte mit einem leisen Lachen den Kopf. »Das würdest du doch nicht verstehen. Diese Angelegenheiten bleiben am besten den Männern überlassen.«
Doch
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