Seelenfeuer
zu ihm aufsah, stellte sie mit Überraschung fest, daß Andreas bereits erraten hatte, was gefeiert wurde. Aber er wollte, daß sie selbst es ihm sagte.
»M-mein Geburtstag«, erklärte sie. »D-die Einkl-kleidung …«
Sein Lächeln vertiefte sich. »Es wäre mir eine Ehre zu bleiben, wenn es dir recht ist. Ich möchte auch gern deiner Mutter meine Dankbarkeit ausdrücken.«
Einen Moment lang gab es Durcheinander. Die Gäste sprangen von ihren Stühlen, um dem Herrn einen Platz anzubieten und von den Erfrischungen zu reichen.
Zur gleichen Zeit gab es ein Stück straßenabwärts ungewohnte Aufregung. Ester, die im vergangenen Monat ihre Einkleidung so großartig gefeiert hatte, war im Garten gewesen, als Andreas auf dem Weg zu Meras Haus vorübergekommen war. Ester hatte in ihrer Arbeit innegehalten und dem vornehm gekleideten Mann neugierig nachgeblickt, um dann verdutzt zu sehen, daß er Meras Haus betrat. Inzwischen waren mehrere Minuten vergangen, und er war immer noch nicht wieder herausgekommen. Das war mehr, als ihre Neugier aushalten konnte. Nachdem sie die Neuigkeit an Mutter und Schwestern weitergegeben hatte – »Ein reicher Mann, ganz eindeutig, und mit einem Geschenk!« –, eilte Ester über die Straße zum Haus ihrer besten Freundin Almah, jung verheiratet und mit ihrem ersten Kind schwanger.
»Ihre Einkleidungsfeier«, sagte Almah, erfreut über diese Abwechslung in ihrem eintönigen Leben. »Er muß ein Gast sein. Wer kann er sein?«
»Ich wollte eigentlich nicht hingehen …«
»Aber immerhin war sie ja bei unseren Feiern …«
»Selene zuliebe. Es ist das Wenigste, was wir tun können.«
Während Ester und Almah sich auf den Weg zu Meras Haus machten, eilte die Bäckersfrau auf flinken Füßen zu ihrem eigenen Haus zurück, um ihren Mann aus seinem Nickerchen zu reißen und ihm zu sagen, er müsse unbedingt zur Feier kommen, es sei ein vornehmer Fremder da, der Selene an ihrem großen Tag ehren wolle.
Diese sensationelle Neuigkeit breitete sich rasch aus, und als Mera, müde und von unerträglichen Schmerzen gequält, in die kleine Straße einbog, hörte sie schon von weitem Stimmengewirr und Gelächter. Ein Fest, dachte sie und überlegte, bei wem es stattfinden mochte. Wenig später sah sie die Menschen vor ihrer eigenen Tür im Vorgarten stehen; lauter Leute, die sie kannte und die sich trotz der Hitze des Sommernachmittags essend und trinkend bestens zu unterhalten schienen.
Mera blieb verdutzt stehen. Was war geschehen? Waren alle diese Leute zu Selenes Einkleidungsfeier gekommen? Das waren ja mehr als Esters Feier beigewohnt hatten, die danach noch tagelang die Nachbarschaft beschäftigt hatte.
Als sie das Gartentor erreichte, begrüßten Freunde und Nachbarn sie bereits weinseliger Stimmung. Sprachlos vor Verblüffung drängte sie sich in ihr Häuschen, das voller lachender, schwatzender Menschen war.
Die Speisen auf dem Tisch hatten sich schon gelichtet; die ersten Platten waren bereits leer, ein frischer Krug Wein, den sie nie gesehen hatte, stand da. Überschwenglich begrüßte man Mera und beglückwünschte sie zu der gelungenen Feier. Sie hielt verwirrt nach Selene Ausschau und fand sie mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Neben ihr stand ein hochgewachsener Mann, der Mera bekannt vorkam.
Während sie sich zwischen den Gästen hindurchdrängte und immer wieder sagte, »Ja, es ist ein großer Tag«, versuchte sie, sich zu erinnern, wo sie den jungen Mann schon einmal gesehen hatte. Natürlich, es war der Verwundete, den sie im Zimmer der Dirne unten am Fluß behandelt hatte! Er mußte ihren Namen und ihren Wohnort erkundet haben und hergekommen sein, um ihr zu danken. Jetzt war Mera auch klar, warum so viele Nachbarn sich zur Einkleidungsfeier ihrer Tochter eingefunden hatten.
Wenn er wirklich hergekommen war, um ihr zu danken, konnte sie ihm nur doppelt dankbar sein. Denn zweifellos hatte er durch sein vornehmes Aussehen die neugierigen Nachbarn angelockt.
Als Andreas Mera gewahrte, unterbrach er mitten in der Rede, wandte sich ihr zu und verneigte sich förmlich.
»Ich bin Andreas, Mutter«, sagte er. »Ich bin gekommen, um dir für das zu danken, was du für mich getan hast.«
Meras Augen strahlten, und einen Moment lang vergaß sie ihre quälenden Schmerzen.
»Es war mir eine Ehre, dir zu helfen, Andreas.«
»M-mutter!« rief Selene. »Schau!« Sie hob den Alabasterkrug vom Bord, um ihn ihr zu
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