Seelenfeuer
würde er sich von Andreas loskaufen müssen, dem Herrn, den er nie hatte verlassen wollen.
Als Sklave mußte man sehen, daß man auf seine alten Tage ein gutes Unterkommen hatte, und Malachus war da in besserer Lage als die meisten. Andreas mißhandelte seine Leute nicht; er war freundlich, großzügig und behielt die Alten auch bei sich, wenn er keinen Nutzen mehr aus ihnen ziehen konnte. Er sorgte dafür, daß sie einen Schlafplatz und Nahrung hatten, und kümmerte sich um sie, wenn sie krank waren. Malachus hatte sich auf einen sorgenfreien Lebensabend unter Andreas’ Dach gefreut. Aber damit war es jetzt vorbei. Er mußte frei sein. Er würde sich loskaufen von diesem Haus, das zehn Jahre lang sein Heim gewesen war, und versuchen, als freier Mann seinen Weg zu machen.
Als erstes würde er Andreas bitten, sein Ohrläppchen zu schließen, damit Zoë nicht ständig an das frühere Sklaventum ihres Mannes erinnert werden würde.
Seufzend wandte sich Malachus ab. Ein ernstes Hindernis stand seinem Plan entgegen: Zoë hatte nur Augen für ihren Herrn. Malachus wußte natürlich, wie aussichtslos ihr Verlangen war; keine Frau würde je das Herz seines Herrn gewinnen. Einzig Malachus, der noch damals in Alexandria zu Andreas gekommen war, wußte, daß Andreas unerreichbar war wie der fernste Stern, und einzig Malachus wußte, warum. Dennoch begehrte Zoë den Herrn, und solange all ihre Wünsche Andreas galten, würde sie, das war Malachus klar, seine Liebe zu ihr gar nicht wahrnehmen.
Doch eine Hoffnung gab es. Vor vier Tagen hatte Malachus erfahren, daß Naso, der Schiffskapitän, wieder in Antiochien war. Aus irgendeinem Grund hatte er die Reise nach Britannien abbrechen und umkehren müssen. Vielleicht, hoffte Malachus, würde Andreas, vor drei Wochen durch seine Verletzung verhindert, diesmal mit ihm fahren.
Malachus war voll der Hoffnung. Er wußte, Andreas würde der Verlockung einer solchen Reise nicht widerstehen können.
10
Der Strom der Feiernden, auf seinem Weg durch die Straßen Antiochiens, ergoß sich lärmend durch das Südtor der Stadt auf die Straße, die nach Daphne führte. Dieses große, massige Tor war Ausgangs- und Endpunkt vieler Karawanen, das ganze umgebende Gebiet ein einziges großes Lager: Zelte, Kamele, Esel und Maultiere so weit der Blick reichte.
Gehetzt von der drängenden Zeit und vom Befehl des Orakels hastete Mera durch das Gewirr von Tieren und Menschen, in der Hoffnung, eine Karawane zu finden, die an diesem Abend aufbrechen würde. Gleich nach Verlassen des Tempels war sie nach Hause zurückgekehrt und war nicht überrascht gewesen, Selene nicht vorzufinden. Sie war zweifellos wieder bei Andreas. In aller Eile hatte sie alles zusammengerafft, was irgendeinen Wert besaß: den Alabasterkrug mit der Myrrhentinktur, ihr zweites Paar Sandalen, einen Steckkamm aus Schildpatt. Den einzig wahrhaften Wertgegenstand, den sie je besessen hatte, hatte sie ihrer Tochter geschenkt, und Selene hatte die Elfenbeinrose seitdem nicht mehr abgelegt. Aber die Rose hätte Mera sowieso nicht verkauft; der Erlös aus dem Verkauf der anderen Dinge reichte aus, um für sie beide die lange Reise nach Osten zu bezahlen; in die Wüste, zurück nach Palmyra.
Überall auf dem großen Platz waren Karawanen; die einen waren gerade angekommen, die anderen rüsteten zum Aufbruch. Das Lager war ein riesiges Gewimmel von Reisenden, Händlern, Bettlern und Tieren. Die Hand fest auf ihre wunde Seite gedrückt, keuchend vor Schmerz, hetzte Mera von einem Zelt, von einer Bude zur anderen und stellte immer wieder die gleiche Frage. Um den Befehl des Orakels zu erfüllen, mußte sie eine Karawane finden, die noch an diesem Abend die lange Reise nach Osten antreten würde. Sie achtete nicht auf den fröhlich lärmenden Zug, der an ihr vorüberkam. Sie sah nicht ihre Tochter und Andreas, die Hand in Hand mit der singenden Menge zogen.
Die Prozession war auf dem Weg zu jenem Ort, der Grotte der Daphne genannt wurde, weil hier der Legende zufolge Daphne sich in einen Lorbeerbaum verwandelte, um den Nachstellungen Apollos zu entgehen. Jeder, der in diesen grünen Hain kam, pflegte nach dem Baum zu suchen, der einst die Nymphe gewesen war, und so tat es jetzt auch Selene, ihre Hand fest in der Andreas’.
Der Zug löste sich auf, als er die Grotte erreichte. Das Standbild des Augustus wurde auf einem kleinen Hügel aufgestellt, und rundherum begannen die Menschen zu tanzen. Obwohl der Himmel sich zu verdunkeln begann
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