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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Kälte der eisigen Meere, in der die Männer Finger und Zehen verloren. Sie litt in ihrer eigenen Seele die Verzweiflung und Einsamkeit, die dieser Junge erlitten hatte.
    »Sie fanden den Bernstein«, fuhr Andreas fort, »und beluden das Schiff bis zum Bersten. Dann traten sie die lange Heimfahrt an, eine geschrumpfte Besatzung auf einem überlasteten, kaum manövrierfähigen Schiff. Als sie endlich in Korinth an Land gingen, waren sie sich selbst fremd geworden, aber sie waren reich, unermeßlich reich, für den Rest ihres Lebens gesichert.«
    Der Junge, achtzehn Jahre alt nun, aber weit älter aussehend und weit älter an Reife, war unverzüglich zu Hestias Haus gegangen. In den zwei endlos langen, grauenvollen Jahren, wo er keine Nacht ohne sein Messer in der Hand geschlafen und manche Nacht bitterlich geweint hatte, wo er sich manchmal vor Hunger und Schwäche kaum noch hatte auf den Beinen halten können, hatte nur das Bild Hestias ihn am Leben erhalten. Als er nun sah, daß das Haus von Fremden bewohnt war, die das Haus nahezu zwei Jahre zuvor gekauft hatten und nicht wußten, was aus den früheren Eigentümern geworden war, hätte er beinahe den Verstand verloren.
    Ein ganzes Jahr lang suchte er sie überall, aber er fand sie nicht. Und eines Abends setzte er sich in eine Hafenkneipe und betrank sich. Er schrie seinen ganzen Schmerz und Kummer heraus, und ohne sich dessen bewußt zu sein, erzählte er allen, die es hören wollten, von den Bernsteinfeldern an der Küste der Nordsee, dort, wo der kalte Rhein seine Wasser ins Meer entleert. Als er wieder zu Sinnen kam und erkannte, was er getan hatte, war es zu spät.
    Andreas holte tief Atem und zog Selene noch näher an sich. Seine Finger gruben sich in ihren Arm, als er weitersprach.
    »Natürlich mußte ein Exempel statuiert werden. Eines Nachts stattete man den Eltern des jungen Mannes einen Besuch ab. Alles wurde gestohlen, das kleine Haus zerstört. Und am folgenden Tag begannen Gerüchte über die skandalösen Praktiken eines gewissen ortsansässigen Arztes zu kursieren. Bei einer stümperhaften Abtreibung, munkelte man, wäre ein junges Mädchen unter seinen Händen gestorben.«
    Andreas’ Stimme war brüchig, als er sagte: »Du weißt, Selene, daß ein Arzt sein Können einsetzen kann, um Leben zu retten, aber auch um Leben zu nehmen. Als der junge Mann nach Hause kam, fand er seine Eltern aufgebahrt. Nur ein einziger Trauergast hatte sich eingefunden. Für den jungen Mann war ein Brief da. Er muß ihn auswendig gelernt haben, denn er konnte ihn mir wörtlich zitieren. ›Wir hörten von Deinem Unglück, als es für uns zu spät war, Dir zu helfen‹, stand in dem Brief. ›Traure nicht um uns, Sohn, denn alles Leben ist eitler Schein, und wir scheiden mit Erleichterung. Vergiß niemals, daß wir Dich stets geliebt haben.‹
    Der junge Mann ging nach Alexandria und nahm das Studium der Medizin auf. Dort habe ich ihn getroffen, und er hat mir seine Geschichte erzählt.«
    Als Andreas schwieg, drehte Selene sich ihm zu und fragte: »Was ist aus dem Jungen geworden?«
    »Er entwickelte eine tiefe Faszination für Schiffe. Er pflegte zum Hafen hinunterzugehen und Stunden dort zu verbringen – nur mit Schauen. Und eines Tages, kurz nachdem er den hippokratischen Eid gesprochen hatte, muß wohl das rechte Schiff eingelaufen sein. Der junge Mann ging an Bord, ohne einen Blick zurück, und segelte davon, um niemals wiederzukehren …«
    Selene blickte wie gebannt auf Andreas’ starres Gesicht. Sie spürte seinen Herzschlag durch den feinen Stoff der Tunika. Sein Atem war langsam wie der eines Schlafenden. Sie wollte ihm etwas sagen, aber sie wußte nicht, was.
    »Das ist eine sehr traurige Geschichte«, sagte sie schließlich.
    Er sah sie an, und sie sah in den graublauen Augen ihr eigenes Bild und noch etwas anderes – Meerestiefen und Strömungen.
    Andreas streckte sich, als erwachte er aus tiefem Schlaf. Er hob die Hand und legte sie an ihre Wange.
    »Du bist wirklich anders, nicht wahr?« sagte er. »Was habe ich getan, um dich zu verdienen? Warum lächeln mir die Götter plötzlich zu? Das macht mir angst.«
    Selene schmiegte sich an ihn. »Hab keine Angst, Andreas«, flüsterte sie und drückte ihren Mund an seinen Hals.
    Der Kuß, zu dem ihre Lippen sich trafen, war sanft, unsicher beinahe, als fürchte jeder der beiden, der andere würde plötzlich fliehen – wie Daphne vor Apoll –, doch als Selene ihre Arme um Andreas’ Hals schlang, wurde

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