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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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und die Luft feucht war, war des fröhlichen Feierns kein Ende.
    Selene meinte, sich in einer Zauberwelt zu befinden, während sie mit Andreas durch den duftenden, grünen Hain schritt. Sie war sorglos und unbeschwert, verlor keinen Gedanken an Medizinen und Krankheiten, keinen Gedanken auch an ihre bevorstehende Einweihung in die höheren Mysterien. Nur das Schicksal Daphnes beschäftigte sie in diesem Moment, die auf ihr Flehen in einen Baum verwandelt worden war, weil sie sich dem Liebeswerben Apollos entziehen wollte.
    Selene fragte sich, warum sie vor der Leidenschaft geflohen war. Ich, dachte sie, würde das nicht tun. Wenn Andreas mich begehrt …
    Aus dem Augenwinkel warf sie ihm einen Blick zu. Er war schön und stark. Sie liebte ihn so sehr, daß es ihr den Atem benahm. Was dachte Andreas von ihr? War sie vielleicht in seinen Augen noch zu jung für Liebe und Leidenschaft? Sah er sie nur als Schülerin und Schützling? ›Betrachte mich für diesen Augenblick als deinen Bruder‹, hatte er bei der Einkleidungsfeier gesagt. War das alles, was er ihr sein wollte?
    Sie sehnte sich nach seiner Umarmung, wollte ihm so gern sagen, was sie fühlte. Aber immer, wenn sie sich vornahm, ihm ein Zeichen zu geben, packte sie plötzlich die Furcht und sie scheute davor zurück. Die Freundschaft zwischen ihnen war noch zu jung. Sie wollte sie nicht aufs Spiel setzen.
    Als die ersten warmen Regentropfen fielen, sahen Selene und Andreas sich überrascht an. Im nächsten Moment öffnete der Himmel seine Schleusen, und ein Wolkenbruch ging nieder, der die Menge zerstreute. Andreas nahm Selene beim Arm und suchte mit ihr Schutz unter den tiefhängenden, dichtbelaubten Ästen eines alten Baumes.
    Selene sah lachend in den strömenden Regen hinaus. Als die Tropfen durch das Blattwerk drangen, nahm Andreas seine Toga ab, warf sie wie einen Umhang über seine Schultern und zog Selene an sich. Sie wurde still und dachte, während sie in den Regen hinausstarrte, nur an seinen Arm, der um ihre Schultern lag.
    Auch Andreas sprach nichts. Nach einer Weile, als der Regen nicht nachlassen wollte, zog er Selene mit sich zu Boden, und sie hockten sich, die Beine angezogen, an den Baumstamm.
    »So regnet es in Alexandria«, sagte Andreas.
    Sein Tonfall veranlaßte Selene, sich umzudrehen und ihn anzusehen. Sein Gesicht war dem ihren sehr nahe; er starrte stumm geradeaus.
    »Der Regen erinnert mich an jemanden, den ich in Alexandria kannte«, sagte er leise, den Blick immer noch geradeaus gerichtet. »Ich weiß nicht, warum ich gerade jetzt an ihn denken muß – nach so vielen Jahren. Es war ein Junge, den ich während meines Studiums der Medizin kannte. Wir studierten zusammen.«
    Selene spürte, wie sich Andreas’ Körper unter einem Seufzer weitete und wieder zusammenzog. Sein Arm schien schwerer auf ihrer Schulter zu lasten.
    »Er war neunzehn Jahre alt, als ich ihn kennenlernte. Er kam aus Korinth, wo auch ich herstammte. Er war still und verschlossen, und die Leute machten sich ihre Gedanken über ihn. Nachts erwachte er oft schreiend aus dem Schlaf.«
    Selene betrachtete Andreas’ Profil. So nahe war sie ihm noch nie gewesen.
    »Erzähl mir von ihm«, sagte sie.
    Andreas schien sie nicht gehört zu haben. Er blickte angestrengt in den Regen hinaus, als suchte er etwas. Schließlich sagte er: »Eines Tages erzählte mir dieser Junge eine außergewöhnliche Geschichte.«
    Er hatte als Einzelkind mit seinen Eltern in Korinth gelebt, erzählte Andreas. Sein Vater war ein nicht sonderlich begabter Arzt gewesen, seine Mutter eine freundliche, rundliche Frau, in deren Gegenwart sich jedermann wohl fühlte. Der Junge hatte von seiner Kindheit an bei seinem Vater gelernt und hatte keinen größeren Ehrgeiz, als ein guter Dorfarzt zu werden. Bis er eines Tages einer Frau begegnete.
    »Ich glaube, er sagte, sie hieß Hestia. Wie dem auch sei, er verliebte sich unsterblich in sie. Er war sechzehn Jahre alt und hatte keinerlei Lebenserfahrung. Hestia war älter und hatte schon viele Männer gekannt. Stundenlang pflegte er vor ihrem Haus herumzulungern, nur um sie sehen zu können, und schickte kleine Geschenke. Hestia ermutigte ihn nicht, stieß ihn aber auch nicht zurück. Sie verhielt sich ihm gegenüber etwa so, wie man sich einem anhänglichen Schoßhündchen gegenüber verhält. Eines Abends, erzählte er mir, erzwang er sich Einlaß in ihr Haus und gestand ihr seine leidenschaftliche Liebe. Hestia wies ihn nicht zurück und lachte ihn

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