Seelenfeuer
gab manchen Eunuchen, der durch kluge Verteilung seiner Gunst bestens für sich zu sorgen verstanden hatte. Einige der Frauen im Harem, Töchter oder Schwestern östlicher Herrscher, verfügten über großen persönlichen Reichtum und große Macht. Darius war einer jener Kastraten, die zu sexueller Betätigung weiterhin fähig waren; Zabbai war es gleichgültig, ob seine Frauen männliche Liebhaber hatten, Hauptsache, sie wurden nicht geschwängert.
Doch Darius hatte kein Interesse daran, sich in die Palastintrigen hineinziehen zu lassen und seine Gunst an die Meistbietende zu verkaufen; in jener Nacht nämlich, als er gebrandmarkt und gedemütigt in den Palast gebracht worden war, hatte er sich zum erstenmal in seinem Leben verliebt.
Er begrüßte Selene jetzt mit freundschaftlichem Händedruck.
»Sind wir sicher?« fragte Selene und schaute sich besorgt um.
Er nickte und erwiderte, Samia erwarte sie am Lotusteich.
Darius empfand wie die meisten bei Hof eine gewisse Ehrfurcht vor Selene. Zur Zeit der erfolgreichen Augenoperation an Königin Lasha und der späteren Heilung des Königs von der Impotenz war er noch nicht in Magna gewesen, doch er hatte alles darüber gehört, wie diese junge Frau aus Antiochien die königliche Gesundheit wiederhergestellt hatte. Im Palast munkelte man, in Fortunas Adern flösse das Blut einer alten ägyptischen Zauberin.
Über den Hof hinweg winkte Selene ihrer Freundin zu. Samia war es gewesen, die Selene in jener ersten beängstigenden Nacht im Palast geholfen hatte, die Verletzungen der anderen Mädchen zu versorgen; Samia hatte Selenes Schmerz und Kummer geteilt, als die Mädchen eines nach dem anderen zum König gebracht wurden, bis schließlich auch sie fortgeschleppt worden war. Weinend hatten sich die beiden Mädchen beim Abschied aneinander geklammert, und das starke Band, das sich zwischen ihnen angesponnen hatte, war auch in den folgenden Monaten nicht gerissen. Samia war – außer Mera – die erste Freundin, die Selene je gehabt hatte.
Nachdem sie sich umarmt und geküßt hatten, setzte sich Selene an den Teich, begierig, ihre Neuigkeiten mitzuteilen. Den traurigen Blick in den Augen ihrer Freundin bemerkte sie zunächst gar nicht.
»Sie kommen in zwei Wochen«, berichtete sie eifrig und warf einen vorsichtigen Blick über ihre Schulter. Darius stand am Torbogen Wache. »Eine Abordnung aus Rom. Mit großem Gefolge. Ein ganzer neuer Flügel des Palasts soll ihnen zur Verfügung gestellt werden. Stell es dir vor, Samia. Überall im Palast wird alles drunter und drüber gehen. Da muß sich doch für uns eine Gelegenheit zur Flucht bieten!«
Als Samia den Blick hob, sah Selene, daß sie geweint hatte.
»Von der römischen Abordnung weiß ich schon«, sagte Samia tonlos. Sie schaute an Selene vorbei zu Darius. »Sie werden Darius mitnehmen.«
Entsetzt drehte sich Selene um und gewahrte zum erstenmal den unglücklichen Ausdruck auf Darius’ Gesicht.
»Wieso?« fragte sie und neigte sich nahe zu Samia. »Wieso werden sie ihn mitnehmen?«
Samia schossen die Tränen in die Augen.
»Der König will dem Kaiser Tiberius zwanzig von seinen Frauen zum Geschenk machen. Und Darius soll sie begleiten.«
Selene fuhr erschrocken zurück. »Nach Rom? Darius soll nach Rom gebracht werden?«
Sie erinnerte sich an den Abend vier Monate zuvor, als sie Darius zum erstenmal begegnet war. Sie hatte von Samia ein heimliches Signal erhalten, das auf geheimem Weg, von Eunuch zu Wächter zur Dienerin, zu ihr gelangt war, und hatte sich sofort zum Harem aufgemacht, war verstohlen durch die dunklen Gänge geeilt und hatte gebetet, daß die Königin nicht erwachen und nach ihr fragen möge. Im hintersten Teil dieses Gartens hatte sie ihre Freundin gefunden, die ungeachtet des leichten Regens unter einer Weide hockte und einen bewußtlosen jungen Mann in den Armen hielt. Es war, wie sie Selene erklärte, ein Eunuch, der am Tag zuvor erst im Harem eingetroffen war. Er hatte versucht, sich mit einem seidenen Schleier zu erhängen. Samia, die ihn entdeckt hatte, hatte ihn gerettet. Selene hatte ihn mit Samia zusammen gepflegt, bis er genesen war.
Selene hing sehr an den beiden Liebenden, die ihre Gefangenschaft teilten. Samia und Darius waren die einzigen, die Selenes Geschichte kannten, die von Andreas wußten und ihrer Gewißheit, berufen zu sein. Sie waren die einzigen, die sie Selene nannten und nicht Fortuna, ein Name, den sie verabscheute. Daß sie ihre Geheimnisse kannten und sie
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