Seelenfeuer
Kazlahs Hand.
»Was ist geschehen?« fragte Lasha.
»Es ist vorbei.«
»Ist es geglückt?«
»Das mußt
du
uns sagen, meine Königin.«
Von zwei Hofdamen gestützt, setzte sie sich in ihrem Bett auf und verlangte einen Spiegel.
Starr vor Spannung sah Selene in ihrer Ecke zu, wie der Smaragd vor dem Auge der Königin entfernt wurde. Lasha nahm den glänzenden Kupferspiegel in die rechte Hand, ergriff mit der linken eine kleine Öllampe, hielt sie nahe an ihr Gesicht und öffnete die Augen.
Mit einem Aufschrei ließ sie den Spiegel fallen und schlug einen Arm vor ihr Gesicht.
Der versammelte Hofstaat fuhr ängstlich zusammen.
»Dieser Schmerz!« rief Lasha, eine Hand auf ihr linkes Auge gedrückt. »Dieser furchtbare Schmerz.«
Selene erschrak. Sie dürfte keine Schmerzen haben, schoß es ihr durch den Kopf. Der Eingriff war ohne Blutvergießen verlaufen, das Auge war unversehrt. Zumindest als sie es das letztemal untersucht hatte, war es unversehrt gewesen; aber seitdem war eine Stunde vergangen, und in der Zwischenzeit, während alle auf das Erwachen der Königin gewartet hatten, war Selene aufgefallen, daß Kazlah sich mehrmals über das Gesicht der Königin gebeugt hatte, allem Anschein nach, um das Auge zu untersuchen.
»Gebt mir den Spiegel«, befahl Lasha, nachdem sie sich wieder gefaßt hatte.
»Meine Königin, offensichtlich ist der Eingriff nicht geglückt.«
Lasha streckte fordernd die Hand aus, und man legte ihr den Spiegel hinein. Diesmal öffnete sie die Augen in der natürlichen Beleuchtung des Raumes. Sie zuckte zusammen, aber sie ließ den Spiegel nicht los. Und als sie die Augen ein drittesmal öffnete, sagte sie: »Der Schmerz ist weg. Es war nur das grelle Licht der Lampe, das weh getan hat.« Und nach einer Pause fügte sie hinzu: »Es ist ein Wunder. Ich kann sehen.«
Erregtes Stimmengewirr folgte ihren Worten, doch die Königin brachte ihren Hofstaat sogleich wieder zum Schweigen.
»Für das, was du getan hast«, sagte sie zu Selene, »werden die Götter dich segnen. Tritt näher, mein Kind, denn ich will dich hoch belohnen.«
Selene hüpfte das Herz vor Freude. Morgen, dachte sie glücklich. Ich werde darum bitten, gleich morgen bei Tagesanbruch fortgehen zu dürfen.
»Weil Allat gnädig ist«, sagte Königin Lasha, »und zum Dank für das, was du für mich getan hast, sollst du eines schmerzlosen Todes sterben.«
Selene starrte sie an, ohne zu begreifen. Stirnrunzelnd winkte Kazlah den Wächtern an der Tür, und im nächsten Augenblick wurde Selene von kräftigen Armen gepackt. Während einer der Wächter ihr die Füße band und die Arme auf dem Rücken fesselte, zog der andere ein kurzes Messer und schnitt Selenes langes Haar ab. Es geschah alles so schnell, daß Selene kaum wußte, wie ihr geschah. Man stieß sie vor der Königin auf die Knie und drückte ihr einen Becher an die Lippen, der mit einem Betäubungsmittel vermischten Wein enthielt.
»Das Glück ist mit dir. O ja, das Glück ist mit dir«, sagte die Königin, während Selene ungläubig zu ihr aufblickte.
Kazlah, der neben der Königin stand, warf Selene einen Blick zu, der alles erklärte: Wenn eine wie du Hand an den königlichen Körper legt, ist sie des Todes.
»Warte«, sagte Selene, die plötzlich begriff.
Aber die Königin hörte nicht auf sie. Sie hob die Arme zur Decke und sprach ein Gebet zur großen Göttin, während gleichzeitig zwei stumme Wächter ihre Plätze an Selenes Seite einnahmen. Sie sah, wie der eine sein Schwert zückte.
»Nein …« wimmerte Selene, als eine schwere Hand ihren Kopf nach vorn drückte. Sie sah aus dem Augenwinkel ihr Haar, das ihr von roher Hand abgeschnitten nur noch bis zur Wange fiel, und spürte einen eisigen Zug im Nacken. Man würde sie enthaupten.
»Bitte«, flüsterte sie und sah einen riesigen dunklen Schatten auf dem glänzenden Marmorboden, als das Schwert herabsauste. Als sie die leichte, kühle Berührung der scharfen Klinge im Nacken spürte, wankte sie unter der Wucht eines Schlages, der nicht ausgeführt wurde.
Dann hörte sie die Königin sagen: »Erhebe dich, Fortuna«, und die Wächter befreiten sie von ihren Fesseln.
Verstört starrte sie die Königin an, während die Wächter ihr auf die Beine halfen und sie festhielten, da ihre Beine sie nicht tragen wollten.
»Selene von Antiochien ist tot«, verkündete die Königin mit gebieterischer Stimme. »Schreibt es auf.« Sie winkte dem Hofschreiber. »An diesem Tag wurde Fortuna von Magna geboren.
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