Seelenflüstern (German Edition)
Toilette.Dort setzte ich mich in einer Kabine auf den Boden und konzentrierte mich nur noch darauf, nicht völlig in Panik zu geraten. Mit zitternden Fingern den Reißverschluss der Tasche zu öffnen, war nicht leicht. Ich wühlte nach dem Tablettenröhrchen, fummelte ewig an seinem kindersicheren Verschluss herum und schluckte am Ende anstatt eines Viertels gleich eine ganze Tablette.
Das Wesen atmete mir nun schon wieder in den Nacken. Mein Schrei hallte von den gekachelten Wänden der Toilette wider und machte meine Angst nur noch größer. Ich sprang auf, drückte mich in eine Ecke und schlang die Arme um mich. Als ich die Augen fest zukniff, hatte ich plötzlich ein Bild von Alden im Kopf. Alden! Auf dem Friedhof hatte er mir gesagt, dass ich das Gruselkind wegschicken sollte, und ich hatte es getan. Vielleicht funktionierte das mit dem Wesen ja auch.
Meine Stimme hörte sich an, als wäre ich eine Comicfigur mit einem Sprachfehler. Pure Angst. »Ver-ver-verschwinde. D-d-du kriegst mich nicht. La-lass mich in Ruhe.«
Der unsichtbare Widerling lachte.
»Hau ab! Ich meine es ernst.«
Lange stand ich in der Klokabine und wartete auf die nächste Gruselattacke. Doch das Gespenst, oder was immer es war, schien sich verzogen zu haben. Vielleicht war es wirklich weg, vielleicht wirkte aber auch nur das Xanax, und die Halluzinationen hörten auf. Egal. Ich wusch mir das Gesicht und betete dabei, dass die Stimme nicht mehr zurückkommen würde.
Nachdem ich tief durchgeatmet hatte, stieg ich die Treppe zum Restaurant wieder hinauf. Doch bevor ich um die Ecke zur Dachterrasse biegen konnte, kratzte mich etwas am Rücken, und ein kalter Luftzug traf michim Nacken. Meine zerkratzte Haut brannte, als hätte ich dort eine Schürfwunde. Mit den Händen fuhr ich unter den Kragen der Windjacke. Blut. Entsetzt starrte ich meine roten Finger an.
»Unterwirf dich mir.«
»Niemals!«, schrie ich.
Das Lachen des Wesens hallte lauter als der donnernde Pulsschlag in meinen Ohren. Voller Entsetzen dachte ich daran, dass ich mich nicht von Mom verabschiedet hatte … Genau wie Dad damals.
»Ich kriege dich. Du gehörst mir. Gib auf.«
»Du kriegst mich nie! Ich ergebe mich auf keinen Fall!«
Ein stechender Schmerz schoss durch meinen Bauch. Vor meinen Augen sickerten Blutstropfen durch mein Shirt.
Lauf! Ich riss mir die hochhackigen Schuhe von den Füßen. Auf meiner Flucht die Treppe hinunter nahm ich immer zwei Stufen auf einmal.
Nichts wie raus! Das Gelächter folgte mir bis auf den Parkplatz. Ich musste unbedingt weg hier. Wieder schnitt mir etwas in den Bauch.
»Niemals!«, schrie ich, während ich zwischen den Autos hindurch auf das Riesenrad zurannte. Ein unbeschreiblich schreckliches Gefühl tobte in meinem Körper – so als würde ich innerlich zerrissen, so als zerrten mir Tausende winzige Zähne die Eingeweide heraus. Alden hatte recht. Ich hatte es nicht nur mit Stimmen zu tun. Und harmlos waren sie auch nicht alle. Diese Stimme schaffte es sogar irgendwie, dass ich blutete. Sie hatte sich in meinen Körper gedrängt. Und ihre Seele wohnte nun in mir.
S E C H S
A uf dem Parkplatz sank ich neben einem Pick-up-Truck zu Boden und rollte mich zu einem Ball zusammen.
Raus mit dir!, schrie die Stimme in meinem Kopf.
Mir fiel wieder ein, dass Alden gesagt hatte, ein Aggrot würde meinen Körper als seinen eigenen benutzen, wenn er es schaffte, meine Seele loszuwerden.
»Nein«, japste ich. Wegen des brennenden Schmerzes, der mich vom Kopf bis zu den Zehenspitzen ausfüllte, konnte ich kaum sprechen. Mit aller Kraft kämpfte ich darum, nicht ohnmächtig zu werden und nicht völlig die Kontrolle zu verlieren. Ich hatte das Gefühl, dass das Ding versuchte, gegen meinen Willen etwas mit mir anzustellen.
Auf der Dachterrasse des Restaurants lachten die Gäste; sie ahnten nicht, dass Wesen wie diese unter ihnen lebten. Oder genau genommen in mir lebten. Was würde es tun, wenn ich nachgab und ihm erlaubte, zu machen, was es wollte? Würde es jemanden umbringen? Oder würde es weiterleben, als wäre es ich?
Weil ich nun nicht mehr meine ganze Kraft brauchte, um mich auf den Beinen zu halten, fühlte ich mich etwas stärker. Ich wusste, in welcher Gefahr ich schwebte. Vielleicht schaffte ich es deshalb, mich zu wehren.
»Was willst du?«, fragte ich.
Dich.
Überraschung! »Wozu?«
Um meine Frau umzubringen. Sie hat mich betrogen.
Sollte ich versuchen, ihm das auszureden? Alden hatte gesagt, es sei wichtig,
Weitere Kostenlose Bücher