Seelenflüstern (German Edition)
Schuhschachtel hinter dem Plastikweihnachtsbaum auf dem Dachboden. Suzanne hat ihn versteckt,damit er nicht noch mal mit ins Krankenhaus muss.« Obwohl ich mir die größte Mühe gab, konnte ich die Tränen nicht unterdrücken. »Mr. Jinx hatte Angst vor Spritzen.«
»Hey«, flüsterte Alden. Er legte den Arm um mich. »Hey, du hast sie doch gesehen. Es geht ihr gut. Sie ist jetzt frei. Du hast ihr geholfen.«
Nickend rieb ich mir die Augen. »Sorry. Ich bin eben eine Heulsuse. Irgendwie hat mich das ziemlich umgehauen.«
Die Haustür ging auf. Alden lächelte. »Das muss Mom sein. Gut, dann lernt sie dich gleich kennen.«
O nein! Ich sah sicher grausig aus. Mein Gesicht war fleckig vom Weinen, und ich trug Aldens zu große Klamotten. Ich wischte mir am Ärmel die Augen ab, zog das Hemd zurecht und fuhr mir mit den Fingern durchs Haar.
Als Aldens Mutter in ihrem weißen Arztkittel hereinkam – auf die Brusttasche war in blauer Farbe Dr. CAROLYN THOMAS gestickt – war ich sicher, dass mein Kopf leuchtete wie eine rote Ampel. Ich versuchte, mich unter Aldens Arm hervorzuschlängeln, doch sein Griff wurde nur noch fester.
»Hey, Alden. Ist das Lilian?« Seine Mutter lächelte.
»Live und in Farbe«, antwortete er fröhlich. »Lilian, das ist meine Mom, Carolyn.«
Dr. Thomas hätte mich auch ohne den weißen Kittel eingeschüchtert. Sie war groß, blond und sah umwerfend aus. Ihr schulterlanges Haar umrahmte ein Gesicht mit hohen Wangenknochen.
»Hi«, sagte ich.
»Schön, dich kennenzulernen, Lilian. Seit letzter Woche redet er nur noch von dir.«
Dr. Thomas und ich lächelten einander an, dann ging sie in die Küche.
Ich warf einen Blick auf die Uhr und erschrak. Schon so spät. Hektisch flüsterte ich Alden zu: »Ich muss jetzt gehen.« Dabei zeigte ich auf mein Handgelenk.
»Alden, musst du nicht morgen eine Hausarbeit einreichen?«, rief seine Mutter aus der Küche.
Er verdrehte die Augen und grinste mich an. »Ja, Mom. Stimmt. Ich mache sie gleich noch fertig. Aber erst bringe ich Lilian nach Hause.«
»Denk daran, dass du die Arbeit rechtzeitig abschicken musst. Wenn sie dir schon erlauben, deinen Abschluss von zu Hause aus zu machen, musst du deine Aufgaben auch pünktlich erledigen.«
Alden ging in die Küche und küsste seine Mutter auf die Wange. »Wolltest du nicht noch einen Zaubertrank brauen oder eine Runde auf deinem Besen reiten?«
Lachend wuschelte sie ihm durchs Haar.
Ich kam mir superblöd vor, als ich barfuß, mit einem Regenmantel über Aldens Klamotten und meinen triefenden Schulkleidern in einer Plastiktüte zu Hause ankam. Wie damals, als ich mir im Kindergarten in die Hose gemacht hatte.
Alden brachte mich zur Tür, wo wir noch einen Augenblick lang verlegen herumstanden. So als hätten wir gerade unser erstes Date hinter uns. War es ein Date, wenn man eine fremde Seele in seinen Körper ließ und dann zusammen ein paar Pappschachteln vom China-Service leerte? Alden wartete darauf, dass ich Tschüss sagte. Dabei sah er mindestens so nervös aus, wie ich mich fühlte. Sollte ich ihm die Hand schütteln oder ihm einen Kuss auf die Wange drücken? Oder sollte ich es machen wie Spook und ihm die Nase lecken?
Ich wusste es nicht. Außerdem hatte ich einen festenFreund. Einen richtig coolen festen Freund. Aber irgendetwas in mir sehnte sich trotzdem nach Alden.
»Was tun wir beide hier eigentlich?« Ich trat von einem Fuß auf den anderen.
»Keine Ahnung«, sagte Alden. »Ich dachte, du wüsstest es vielleicht.«
Meine Mom öffnete die Tür und rettete uns damit. Gut. Ein flotter Abgang.
»Ach, Alden«, flötete Mom. »Komm doch rein.«
So viel zum Thema flotter Abgang.
»Danke, Miss Anderson, aber ich muss noch etwas für die Schule erledigen. Gute Nacht, Lilian. Es … war prima.«
»Ja. Danke für das Essen.«
Alden steckte lächelnd die Hände in die Hosentaschen. »Gern geschehen.«
Mom legte mir den Arm um die Schultern. Gemeinsam sahen wir zu, wie Alden wegfuhr. »Ich bin froh, dass du langsam Freunde findest«, sagte sie.
Ein Freund . War Alden das für mich?
Zaks Auftritt im Last Concert Café dauerte noch bis elf. Vermutlich war er enttäuscht, dass ich nicht hingekommen war. Doch falls er je erfuhr, wo ich mich stattdessen herumgetrieben hatte, würde er komplett ausrasten. Deshalb ließ ich mein Handy aus. So musste ich nicht lügen – nicht noch mal lügen. Das schlechte Gewissen drückte mir auf den Magen wie ein Stein.
Nach dem Umziehen und
Weitere Kostenlose Bücher