Seelengesaenge
freundlich.«
»Ich tue nur meinen Job. Allerdings muß ich noch einige Daten wegen Ihrer Ernährung durchgehen und überprüfen, welche Nahrungsmittel wir an Bord haben. Danach werden wir uns noch einmal unterhalten.«
Louise öffnete die Augen, nur um festzustellen, daß die gesamte Kabine hinter einem flüssigen Schleier verschwamm. Sie blinzelte mehrmals heftig, bis sie wieder klar sehen konnte.
»So, dann wollen wir Sie mal wieder auf die Beine stellen«, sagte Endron und löste den Verschluß der Bänder, die sie auf der Liege gehalten hatten. »Aber kommen Sie nicht auf den Gedanken, so durch die Gegend zu wirbeln wie Ihre kleine Schwester.«
Sein Tonfall klang wie der von Mrs. Chalsworth, ihrer alten Nanny. »Keine Sorge …« Der Rest des Satzes erstarb auf ihren Lippen, als sie ihn anblickte. Ihr erster Gedanke war, daß Endron unter einem schrecklichen Gebrechen litt.
Endrons Kopf sah ganz gewöhnlich aus, ein Mann in den späten Fünfzigern, schätzte sie, mit kurzgeschnittenem schwarzem Kraushaar und Wangen, die wie aufgeblasen aussahen, ohne jede Falte. Sein Körper jedoch … Er besaß extrem breite Schultern auf einem tonnenförmigen Brustkorb, und Louise konnte sogar die Rippen unter dem glänzenden grünen Bordanzug erkennen. Sie hatte Hologramme von terrestrischen Sperbern gesehen, und die anatomischen Eigenheiten erinnerten sie an diese Bilder: ein gigantischer, aufgeplusterter Vogel mit unglaublich zerbrechlich wirkenden Knochen.
»Haben Sie noch nie einen Marsianer gesehen, Miß?« fragte er lächelnd.
Wütend darüber, daß sie so offensichtlich gegafft hatte, senkte Louise den Kopf. »Ich bin nicht sicher. Sehen alle Marsianer aus wie Sie?«
»Yepp. Also gewöhnen Sie sich besser daran. Das hier ist schließlich ein SII-Linienschiff, und der Rest der Besatzung sieht aus wie ich. Außer natürlich Furay, aber deswegen ist er ja an Bord. Wir könnten das Raumflugzeug nicht auf einer terrakompatiblen Welt landen. Die Gravitation wäre zu hoch für uns.«
»Warum …« Sie war nicht sicher, ob es schicklich war, so beiläufig über dieses Thema zu reden. Es kam ihr beinahe vor, als würden sie über eine unheilbare Krankheit sprechen. »Warum sehen Sie so aus?«
»Genetisches Lifting. Es ist vollkommen beabsichtigt und liegt schon eine ganze Weile zurück. Selbst durch Terraformierung kann sich auf dem Mars keine normale Atmosphäre entwickeln. Unsere Vorfahren beschlossen, dem Problem auf ihre Weise zu begegnen. Weil unsere Gesellschaft kommunistisch ist, erhielt selbstverständlich jedermann die gleiche genetische Manipulation, um die Lungenkapazität zu erhöhen, und das kam zu den Adaptionen hinzu, mit denen wir uns an das Leben in der Schwerkraft auf dem Mond angepaßt hatten.«
»Der Mond?« fragte Louise. Sie hatte Mühe, seiner Antwort zu folgen. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie zuerst auf dem Mond gelebt haben?«
»Es war die Lunare Nation, die den Mars terraformiert hat. Haben Sie das denn in der Schule nicht gelernt?«
»Äh, nein. Zumindest sind wir bis jetzt noch nicht soweit gekommen.« Sie beschloß, ihn lieber nicht nach seiner kommunistischen Gesellschaft zu fragen. Angesichts Daddys Meinung zu diesem Thema würde es das Leben im Augenblick ein wenig zu kompliziert machen.
Er lächelte sie freundlich an. »Ich denke, das ist für den Augenblick genug Geschichte. Auf Norwich ist es inzwischen fast Mitternacht. Vielleicht sollten Sie lieber ein wenig schlafen, Miß.«
Sie nickte eifrig.
Endron zeigte ihr die grundlegenden Bewegungen, um in der Schwerelosigkeit zurechtzukommen. Hast und Eile sollten möglichst vermieden werden, erklärte er, es war wichtiger, heil und sicher dort anzukommen, wo man hinwollte. Und man durfte nie die eigene Massenträgheit vergessen, sonst bekam man gewaltige blaue Flecken.
Mit seinem Ansporn machte sie sich auf den Weg zu der Lebenserhaltungskapsel, die man den Passagieren zugewiesen hatte.
Eine Messe mit fünf Yards Seitenlänge und schmuddeligen Kompositwänden, in die mehrere Instrumentenpaneele eingelassen waren, auf denen unter dunklen Glasoberflächen winzige orangefarbene und grüne Lichter blinkten. Plastiktüren, die wie eine erstarrte Flüssigkeit wirkten, flossen auseinander und enthüllten den Blick auf drei ›Schlafkabinen‹ (Louises Garderobenschränke daheim auf Cricklade Manor waren größer gewesen). Auf dem oberen Deck gab es ein ›Badezimmer‹, bei dessen Anblick Louise entsetzt zurückzuckte und sich im
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