Seelengesaenge
bewußt, daß irgend etwas nicht stimmte. Eine Präsenz. Ganz in der Nähe.
Bisher hatte er keinen Gedanken an die anderen verschwendet. Die, die schon dagewesen waren, als er in Lovegroves Körper gefahren war. Dieselben, die ihn in der leerstehenden Werkstatt zurückgelassen hatten. Doch wenn er die Augen schloß und die Geräusche der Stadt aussperrte, konnte er das wirre Geschrei hören. Es kam aus dem Reich der Alpträume, Flehen und Versprechungen, wenn sie nur von dort weggebracht würden, um wieder zu leben und zu atmen.
Die gleiche Wahrnehmung lieferte ihm einen höchst merkwürdigen Anblick der Stadt. Wände aus dicken schwarzen Schatten mitten unter einem universellen Grau. Menschen bewegten sich hindurch, verzerrtes Flüstern überall ringsum, hörbare Geister. Einige unterschieden sich von den anderen. Einige waren lauter, deutlicher zu verstehen. Allerdings waren es nicht viele.
Al öffnete die Augen und blickte die Straße entlang. Ein Ausschnitt der Barriere glitt lautlos nach unten, und eines der großen stromlinienförmigen Fahrzeuge kam daneben zum Halten. Die Flügeltür glitt nach oben, und im Innern war ein richtiges Auto! Ein echtes amerikanisches Kabriolett, über das die Außenhaut eines New-California-Wagens gestülpt war wie ein Kleidungsstück. Es war langgestreckt, mit einer mächtigen Motorhaube und jeder Menge Chrom. Al erkannte das Modell nicht, es war moderner als alles, was er in den Zwanzigern gesehen hatte, und seine Erinnerung an die Dreißiger und Vierziger war nicht so klar.
Der Mann auf dem roten Ledersitz hinter dem Steuer nickte freundlich. »Du steigst besser ein«, sagte er. »Die Bullen kriegen dich garantiert, wenn du weiter hier draußen rumläufst. Sie sind mächtig aufgescheucht durch unsere Gegenwart.«
Al blickte den Bürgersteig hinauf und hinunter, dann zuckte er die Schultern und stieg ein.
Von innen heraus sah die Tarnung des Wagens aus wie eine gefärbte durchsichtige Seifenblase.
»Ich heiße Bernard Allsop, falls es dich interessiert.« Der Mann hinter dem Steuer lenkte den Wagen zurück in den Verkehr. Hinter ihnen schloß sich die Barriere wieder. »Ich wollte schon immer einen Oldsmobile wie diese Schönheit hier, und ich hatte nie das Geld dazu daheim im guten alten Tennessee.«
»Und jetzt hast du ihn? Ist er denn echt?«
»Wer weiß das schon, alter Knabe? Jedenfalls fühlt er sich an wie echt, und ich bin mächtig dankbar für die Gelegenheit, einen zu steuern. Man könnte sagen, ich hätte fast nicht mehr dran geglaubt.«
»Ja. Ich weiß, was du meinst.«
»Du hast einen ganz schönen Wirbel veranstaltet, Junge. Die Schweine sind ziemlich gut organisiert, aber wir haben ihren Funkverkehr abgehört, oder das, was sie heutzutage statt dessen benutzen.«
»Ich wollte nichts weiter als ein Taxi, das ist alles! Irgendein Arschloch hat versucht, schlau zu sein.«
»Es gibt einen Trick, wie man sich durch die Stadt bewegen kann, ohne daß die Bullen es erfahren. Ich zeig’ dir gerne mal, wie’s funktioniert.«
»Danke. Wohin fahren wir?«
Bernard Allsop grinste und zwinkerte Al zu. »Ich bring’ dich zu den anderen von unserer Gruppe«, sagte er. »Wir haben immer Bedarf an Freiwilligen. Sind ein wenig schwer zu finden dieser Tage.« Er lachte, ein hohes, schrilles Gackern, das Al an ein Huhn erinnerte.
»Die anderen haben mich zurückgelassen, Bernard. Ich glaube kaum, daß ich ihnen etwas zu sagen habe.«
»Hm, ja. Sicher. Du weißt selbst, wie es war. Du hattest sie nicht alle beisammen, Junge. Ich hab’ gleich gesagt, daß wir dich mitnehmen sollten. Verwandtschaft ist Verwandtschaft, habe ich gesagt, auch wenn wir nicht wirklich eine Familie sind … wenn du weißt, was ich meine. Jedenfalls bin ich froh zu sehen, daß du es doch noch geschafft hast.«
»Danke.«
»Und wie heißt du, mein Freund?«
»Al Capone.«
Der Oldsmobile geriet fast ins Schleudern, so heftig zuckte Bernard zusammen. Seine Knöchel traten weiß hervor, so heftig umklammerte er das Lenkrad. Schließlich riskierte er einen vorsichtigen Seitenblick auf seinen Passagier. Wo noch Sekunden vorher ein vielleicht zwanzig Jahre alter Bursche in einem dunkelroten Overall gesessen hatte, sah er nun einen eleganten Latino in einem teuren blauen Zweireiher mit einem taubengrauen Fedora-Hut auf dem Kopf.
»Du willst mich auf den Arm nehmen?«
Al Capone griff in seine Innentasche und zog einen kleinen Baseballschläger heraus. Ein inzwischen zu Tode erschrockener
Weitere Kostenlose Bücher