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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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doch dann war sie gehorsam. Er hielt ihr den Mund zu, als sie etwas sagen wollte, und wartete, bis das Mittel zu wirken begann. Dann löste er ihre Handfesseln und zog ihr den Mantel aus. Sie wehrte sich noch im Halbschlaf, schlug mit den Händen um sich, aber schon ohne Kraft. Er versperrte die Tür von außen, löschte das Licht und ging. Endlich Ruhe.

DREIUNDZWANZIG
    Gruber sah auf die Uhr. Noch über eine Stunde Zeit. Sie waren viel zu früh losgefahren. Beide hatten es in der Wohnung nicht mehr ausgehalten. Jetzt standen sie vor dem Bahnhof und sahen sich unschlüssig an. Der gestrige Schnee war nur noch ein flüchtiger Traum. Er hatte einen Wetterumschwung gebracht. Jetzt schien die Sonne, und es war um einiges wärmer geworden. Keine Spur mehr von der sibirischen Kälte der vergangenen Wochen. Wenn der frische Wind nicht gewesen wäre, hätte man fast meinen können, ein Hauch von Frühling liege in der Luft. Sie gingen in das Kaufhaus, das dem Bahnhof gegenüberlag, und fuhren in den obersten Stock. Dort gab es eines dieser schicken neuen Selbstbedienungsrestaurants. Als sie sich gegenübersaßen, ihre Plastiktabletts vor sich auf dem Tisch, sah Armin seinen Vater an.
    »Willst nicht doch mitfahren?«, fragte er.
    Gruber schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Ich muss erst einmal das Verfahren abwarten.« Er wollte nicht daran denken. Schon Sabine Sommers Anblick bei der Beerdigung hatte ihn fast zur Weißglut gebracht. »Außerdem musst du ja lernen. Ich komm’ ein anderes Mal.« Er versuchte ein Lächeln. »Versprochen.« Er meinte es ehrlich. Er würde kommen. Dieses Mal ganz sicher. Die Fehler der Vergangenheit würde er nicht mehr wiederholen.
    Armin sah ihn zweifelnd an. »Und du kommst sicher allein zurecht?«

    »Freilich!« Gruber nahm sich eine Weißwurst aus der Terrine und schnitt die Haut längs ein. Dann schälte er die dampfende Wurst mit Messer und Gabel aus der Haut und schnitt sie in dicke Scheiben. Seit gestern, seit dem Leichenschmaus, hatte er einen solchen Hunger, dass es schon fast peinlich war. Das lag wohl daran, dass er die Woche davor so gut wie nichts gegessen hatte. Der Körper forderte sein Recht. »Mach dir keine Sorgen um mich«, sagte er und sah seinen Sohn aufmunternd an. »Jetzt fährst du erst einmal zurück und gehst in deine Vorlesungen, und in den Semesterferien besuche ich dich. Ist ja nicht mehr lange bis dahin.«
    Er trank einen Schluck von seinem Weißbier, um seinen Sohn nicht ansehen zu müssen. Alles war gelogen. In Wahrheit riss ihm der Gedanke, dass sein Sohn heute schon wieder zurück nach Berlin fuhr, das Herz auseinander. Aber das konnte er ihm ja nicht sagen. Er musste stark sein. Armin durfte nicht denken, dass er Hilfe brauchte. Er trank noch einen Schluck. Der Junge hatte ein Leben dort oben, sein Studium, das er beenden musste. Er selbst würde schon zurechtkommen. Und er würde ihn besuchen. Ganz sicher.
    »Papa«, begann Armin plötzlich, ohne seinen Vater anzusehen. »Ich muss dir was sagen.«
    Gruber hob alarmiert den Kopf. Das klang nicht gut. »Ja?«
    »Wegen des Studiums …« Armin nestelte an seiner Serviette herum und starrte auf seinen Teller. Die Rühreier mit Speck, die Gruber ihm aufgenötigt hatte, waren noch unberührt.
    »Also … ich hab’s geschmissen.«
    »Ge…« Gruber sah ihn bestürzt an. »Jetzt, unmittelbar vor den Prüfungen? Du wärst doch im Herbst fertig geworden!«
    »Das stimmt nicht. Das hab’ ich euch nur erzählt. Ich habe schon vor einiger Zeit aufgehört.«

    »Vor einiger Zeit? Das heißt, du hast dich zu den Prüfungen gar nicht angemeldet?«
    Armin schüttelte den Kopf. »Ich hab’ schon vor über einem Jahr aufgehört.«
    »Vor über einem Jahr!« Gruber blieb der Mund offen stehen. »Aber … Warum hast denn kein Wort gesagt?«
    Armin biss sich auf die Lippen und sah nach oben, im Versuch, die Tränen wegzublinzeln, die ihm in die Augen stiegen. »Wegen der Mama. Die war immer so stolz, dass ich dort oben in Berlin bin und so etwas Tolles studiere.« Er machte eine ausladende Geste, ahmte seine Mutter nach: »Volkswirtschaft und Politologie, der Bub wird mal Politiker.«
    Gruber musste unwillkürlich lächeln. »Ja. Genauso hat sie das immer gesagt.«
    Armin wischte sich über die Augen. »Ich hab’ sie ganz mies angelogen, verstehst du! Und jetzt kann ich ihr nicht mehr die Wahrheit sagen! Nie mehr!« Er schluckte hart und sah weg.
    Gruber konnte nichts machen, er musste noch immer lächeln. Es kam ihm so

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