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Seelengift

Titel: Seelengift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Schwärze. Plötzlich fiel ihr auf, dass die Musik aus ihrem Traum noch immer spielte, obwohl sie längst wach war. Oder schlief sie etwa noch? Und in dem Moment fiel es ihr wieder ein. Sie war gar nicht zu Hause in ihrem Bett. Sie war in seiner Gewalt.
    Ruckartig setzte sie sich auf und fiel sofort wieder zurück, so sehr schmerzte ihr Kopf. Was war das für Musik? Woher kam sie? Sie lauschte. Irgendwo vor der Tür spielte ein Akkordeon. Nein: Er spielte Akkordeon. Josef Gerlach, Papa Joke, Irmgard Grubers Mörder. Clara konnte nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken, als ihr die Tragweite ihrer Situation nach und nach bewusst wurde. Sie konnte sich nur noch verschwommen an das erinnern, was gestern passiert war, aber das wenige, was ihr einfiel, genügte, um die Panik in ihr hochflackern zu lassen wie ein unruhiges, unkontrollierbares Feuer. Sie zwang sich zur Ruhe und setzte vorsichtig ihre Beine auf den Boden. Schon bei dieser kleinen Bewegung wurde ihr wieder übel, und in ihrem Kopf drehte sich alles. Sie wartete vornübergebeugt, bis die Welle der Übelkeit abgeflaut war, dann richtete sie sich vorsichtig auf.
    Es war fast vollkommen dunkel in dem Raum, in dem sie
sich befand. Lediglich über der Kopfseite des Bettes gab es einen Spalt, durch den ein dünner Lichtstrahl hereinfiel. Mühsam drehte sie den Kopf und blinzelte in das Licht. Ihre Augen taten ebenfalls weh. Dort gab es ein kleines Fenster in der Wand, das von außen mit einem Fensterladen oder Holzbrettern verschlossen war. Sie konnte die Maserung des Holzes in dem Spalt erkennen. Statt eines Griffs gab es nur ein Loch. Sie versuchte hinauszusehen, doch sie konnte nichts erkennen außer einem haarfeinen Strahl milchig weißer Helligkeit. Vielleicht Himmel? Mühsam wandte sie sich wieder um und presste stöhnend ihre Hände gegen den schmerzenden Kopf. Ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit. Soweit sie sehen konnte, befand sie sich in einem kleinen Zimmer, höchstens zwei mal vier Meter groß. Das Bett, auf dem sie saß, stand an der Längsseite, davor gab es eine Tür. In der Ecke schräg gegenüber stand ein Tisch mit einem großen, unförmigen Gegenstand darauf, und direkt gegenüber dem Bett war der Umriss eines schmalen Kleiderschranks zu erkennen. Sie konnte mit der Hand danach greifen. An der Decke hing eine Lampe, doch sie konnte keinen Lichtschalter entdecken. Vorsichtig stand sie auf und tastete die Wand ab. Nichts. An der Tür gab es keinen Griff, er war offenbar abgeschraubt.
    Unschlüssig blieb sie davor stehen. Sollte sie sich bemerkbar machen? Schreien? Sie hatte keine genaue Vorstellung davon, wo sie sich eigentlich befand. Eine Wohnung im ersten Stock, wenn sie sich richtig erinnerte, doch war es seine Wohnung? Wahrscheinlich. Wo wohnte Josef Gerlach? Warum hatte sie nicht nachgesehen, bevor sie diese unsägliche Dummheit begangen hatte und einfach in seinen Laden spaziert war? Clara stöhnte leise. Wie hatte sie nur so leichtsinnig sein können?
    Sie stemmte sich gegen die Tür, doch sie gab keinen Millimeter
nach. In ihrem Kopf begann sich erneut alles zu drehen, und sie wankte zurück und ließ sich auf das Bett fallen. Die wenigen Schritte hatten sie bereits erschöpft. Sie starrte an die Decke, wartete, bis sie ihren wilden, schwankenden Tanz einstellte und die Dinge an ihrem Platz blieben. Er hatte ihr etwas gegeben. Sie erinnerte sich an das Glas Wasser, das er sie zu trinken gezwungen hatte. Schlaftabletten? Drogen? Sie versuchte zu schlucken, doch ihr Mund war wie ausgetrocknet, und ihre Kehle schmerzte. Er hatte sie gewürgt. Sie hatte gedacht, sie müsse sterben. Sie war gestorben. In ihrer Vorstellung war sie gestorben. Warum hatte er sie am Leben gelassen?
     
    Sie blieb zusammengekrümmt auf dem Bett liegen und wartete mit geschlossenen Augen. Mit der Zeit ließen die Übelkeit und der Schwindel etwas nach. Dafür wurde ihr Durst größer. Noch immer spielte das Akkordeon. Als es endlich verstummte, war der Lichtschein, der durch den Spalt drang, schon deutlich schwächer geworden. Clara wusste nicht, wovor sie mehr Angst hatte: Davor, dass er kam oder dass er nicht kam. Als sie dann tatsächlich seine Schritte hörte und der Schlüssel sich im Schloss drehte, war sie steif vor Angst. Licht flammte auf, offenbar war der Lichtschalter außen angebracht. Sie schloss einen Moment die Augen. Dann stand er in der Tür. Und in dem Moment begriff Clara erst, dass das, was hier passierte, real war. Erst in

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