Seelenglanz
erfahren, werden sie mir meine Flügel erneut nehmen, und ich bin wieder dort, wo ich hingehöre. Wenn du einen Hoffnungsträger willst, dann suchst du dir besser ein anderes Vorbild. Jemanden wie Akashiel.«
Sie kam noch einen Schritt näher und sah mir fest in die Augen. »Du magst in den letzten Minuten herausgefunden haben, was du willst, aber du hast immer noch nicht begriffen, wer du wirklich bist.«
»Ich bin ein Verräter, der die Leute für sich einnimmt, wo immer es ihm gelegen kommt.«
»Du bist kein Verräter«, sagte sie kopfschüttelnd. »Tatsächlich bist du unglaublich loyal. Nur dass deine Loyalität in den letzten Jahrtausenden dem Falschen gehört hat.«
Ich blinzelte überrascht. »Siehst du das wirklich so?«
»Was soll ich machen? Du hast mich eben eingewickelt.« Sie griff nach meiner Hand und strich beinahe gedankenverloren über meine Finger. Selten hatte sich eine einzige Berührung so gut angefühlt. »Ich weiß nicht warum, aber ich vertraue dir immer noch.«
Erleichtert schloss ich die Augen – und öffnete sie erst wieder, als ich ihre Lippen auf meinen spürte. Ihr Kuss war sanft und zärtlich und viel zu kurz. Noch bevor ich mich von meiner Überraschung erholen und die Arme um sie schließen konnte, zog sie sich bereits wieder zurück. Was blieb, war das Prickeln auf meinen Lippen und der sehnsüchtige Wunsch nach mehr.
»Womit habe ich den verdient?«
»Ich wollte, dass du weißt, was du aufs Spiel setzt, wenn du die falschen Entscheidungen triffst.«
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Und du nennst mich manipulativ?«
Als ich die Arme nach ihr ausstreckte, lehnte sie sich an meine Schulter und hielt mich ebenso fest wie ich sie. Lange Zeit blieben wir so stehen, ohne zu sprechen und ohne uns zu küssen. Es tat gut, einfach nur ihre Nähe zu spüren, ihre Wärme und das Vertrauen, das sie trotz allem noch immer in mich hatte. Ein Vertrauen, das ich nicht noch einmal enttäuschen wollte.
Ich war mir nicht sicher, auf welche Weise sich unsere Beziehung in den letzten Stunden verändert hatte und an welchem Punkt wir jetzt standen. Ich wusste nicht einmal, was das genau war, was ich für sie empfand. Das Gefühl der Lust, das ich verspürte, wenn ich sie berührte und sie mirnahe kam, war mir vertraut, aber da war noch mehr. Andere Gefühle, die ich so nicht kannte und auch nicht in Worte fassen konnte. Dafür war jetzt auch gar keine Zeit, denn ich hatte noch etwas zu erledigen.
Ich küsste Jules auf den Haaransatz und gab sie frei. »Ich muss meinen Auftrag erfüllen.«
»Du wirst …« Die Worte blieben ihr im Hals stecken.
»Nicht den für Luzifer«, sagte ich schnell. »Den, weshalb wir nach Florida gekommen sind.«
Sie stieß hörbar die Luft aus. »In Ordnung, ich warte hier. Disney World fällt nach den Ereignissen von letzter Nacht vermutlich sowieso ins Wasser.«
Ich hatte nicht vor, Jules allein zurückzulassen. Nicht mit Shandraziel in derselben Stadt und einem Luzifer, der meinen Aufenthaltsort kannte. Verflucht, ich hatte nicht einmal eine Ahnung, ob er über Jules Bescheid wusste! Allerdings wurde mir in diesem Augenblick etwas anderes bewusst: Letzte Nacht hatte Shandraziel nicht versucht, Jules dazu zu bringen, ihre Seele zu verkaufen. Stattdessen hatte er sie ohne Vorwarnung angegriffen. Er war bereit gewesen, sie umzubringen. Warum? Um mich zu treffen? Woher zum Henker konnte er wissen, dass Jules mir wichtig war? Und warum wusste er das, bevor ich es selbst begriffen hatte?
»Du kommst mit mir«, sagte ich. »Und was Disney World angeht, sobald diese Sache ausgestanden ist, bringe ich dich hin. Das verspreche ich dir.«
Kurz darauf saßen wir im Wagen auf dem Weg zu der Adresse, die Akashiel mir gegeben hatte. Jules saß auf dem Beifahrersitz, einen der Stadtpläne auf dem Schoß, die sich überall in den Broschüren fanden, und lotste mich zu dem Hotel, in dem Amber abgestiegen war. Während ich den Wagen durch den lebhaften Verkehr lenkte, erzählte ich Jules von Amber und meinem Babysitterauftrag. Es gefiel mirnicht, dass ich Jules mitnehmen musste, doch die Vorstellung, sie zurückzulassen, gefiel mir noch weniger. Solange sie bei mir war, konnte ich sie zumindest im Auge behalten. Was sollte schon passieren? Wir statteten Rachels Freundin einen Besuch ab, erkundigten uns höflich, ob es ihr gut ging, und lachten gemeinsam über die neurotischen Ängste, die Rachel ausstand, während Amber ein paar unbeschwerte Tage im Sunshine
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