Seelenglanz
tun.«
Luzifers Worte ließen mich erstarren.
28
Jules erwachte, als Kyriel ihr das Haar aus dem Gesicht strich. Ohne die Augen zu öffnen, lächelte sie und genoss die Nähe, die in den letzten Stunden zwischen ihnen noch weiter gewachsen war. Kyriels Sorge hatte sie gerührt. Gleichzeitig bewies sie, dass er nicht der Egoist war, als den er sich selbst darstellte. Zu sehen, welche Gefühle in ihm schlummerten – auch wenn er versuchte, das nicht offen zu zeigen –, war wunderbar. Noch vor ein paar Tagen hatte sie geglaubt, dass in ihrem Leben kein Platz für einen Mann wäre, und jetzt verschenkte sie ihr Herz ausgerechnet an einen gefallenen Engel. Jemanden, der in dieser Welt genauso verloren zu sein schien wie sie selbst.
Immer noch lächelnd öffnete sie die Augen. Und blickte in Shandraziels Gesicht. Erschrocken fuhr sie hoch.
Ein kaltes Grinsen breitete sich über die Züge des Gefallenen aus. »Nicht der, den du erwartet hattest?«
Sich unangenehm der Tatsache bewusst, dass sie nackt war unter dem Handtuch, in das Kyriel sie gewickelt hatte, zog Jules sich die Decke bis ans Kinn. Eine lächerliche Reaktion angesichts der Gefahr, in der sie sich befand. Sie sollte lieber sehen, dass sie wegkam, statt zu versuchen, ihre Blöße zu bedecken.
Shandraziel quittierte ihr Verhalten mit Gelächter. »Keine Sorge«, sagte er so gelassen, als ginge es nur um die Frage, ob Regen zu erwarten war. »Ich will dich nicht töten.«
»Gestern sah das nicht so aus.«
»Oh, gestern wollte ich es auch noch.«
»Du scheinst ziemlich wankelmütig zu sein.« Langsam, Zentimeter für Zentimeter, zog sie sich ans andere Ende des Bettes zurück. Shandraziel rührte sich nicht. Er saß ruhig da und beobachtete sie mit einer Teilnahmslosigkeit, die nur jemand an den Tag legen konnte, dem es vollkommen gleichgültig war, was sein Gegenüber tat. Oder der sich seiner Überlegenheit so sicher ist, dass es ohnehin egal ist, was ich versuche. Von derartigen Überlegungen wollte sich Jules jedoch nicht bremsen lassen. Sie würde nicht tatenlos hier sitzen und abwarten, was seine neuen Pläne für sie vorsahen.
»Manchmal überdenkt man sein Handeln eben neu.« Shandraziel zuckte die Schultern. »Kyriel hat mich dazu gebracht, die Seele dieser Frau zu zerstören. Ich denke, es ist nur fair, wenn ich mir im Gegenzug eine andere hole.«
Daher wehte also der Wind. Gestern war er noch wild entschlossen gewesen, Kyriel eins reinzuwürgen, indem er versuchte sie umzubringen, und heute hatte er entschieden, dass er doch lieber ihre Seele haben wollte. Womöglich hatte er begriffen, dass er Kyriel auf beiden Wegen treffenkonnte, aber nur auf eine Weise ein wirklich gutes Geschäft für ihn drin war.
»Du wirst meine Seele nicht kriegen.« Wenn es ihr gelang, an ihm vorbeizukommen, vielleicht konnte sie dann … Das würde nicht klappen. Sie konnte diesem Kerl unmöglich davonlaufen. Sie wusste ja nicht einmal, ob Kyriel dann überhaupt in der Lage wäre, sie zu finden. Es gab nur eine Möglichkeit: Sie musste Shandraziel hinhalten, bis Kyriel zurückkehrte. Er hatte selbst gesagt, dass er nicht lange fort sein würde.
Zeit gewinnen! Du musst Zeit gewinnen! »Wie hast du mich gefunden?«
Shandraziels Lächeln wurde eine Spur breiter, und für einen Moment erinnerte er in seiner Überheblichkeit an Kyriel – nur in einer wesentlich beängstigenderen Version. »Zufall. Ich war gerade beim Morgenstern, als dein Freund dort auftauchte.«
Kyriel hatte Luzifer aufgesucht? Trotz der Hitze kroch ihr ein kalter Schauder über den Rücken. Sie hatte geahnt, dass er etwas Dummes und vermutlich auch Gefährliches vorhatte, aber sie hatte eher damit gerechnet, dass er versuchen würde Shandraziel aufzuspüren und ihn herauszufordern. Dass er jedoch geradewegs zu Luzifer laufen würde, hätte sie nicht gedacht.
»Er hat mich nicht bemerkt«, fuhr Shandraziel fort. »Und sobald ich ihn sah, sorgte ich dafür, dass das so blieb. Kein besonders schwieriges Unterfangen inmitten eines Pulks von Gefallenen. Und dank eines von Luzifers kleinen Gimmicks werden wir deinen Freund sogar im Auge behalten können.«
»Das erklärt noch nicht, wie du hierherkommst.«
»Luzifers Reich liegt tief unter der Erde. Du kannst dir vielleicht meine Überraschung vorstellen, als ich wieder andie Oberfläche kam und plötzlich deine Signatur spürte. Dein Engel hat dich dir selbst überlassen.«
Das würde er niemals tun. Kyriel wäre nicht gegangen, wenn er gewusst
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