Seelenglanz
zurück und stand auf. »Ich muss kurz weg. Kann ich dich allein lassen?«
Ihrem Blick nach zu schließen, argwöhnte ich, dass ihr mein Vorhaben nicht gefallen würde. Deshalb sagte ich ihr gar nicht erst, was ich vorhatte. Vermutlich ahnte sie es sowieso.
»Was, wenn ich Nein sage? Bleibst du dann hier?«
»Das kann ich nicht.«
»Dann werde ich wohl zurechtkommen.«
Ich sparte mir die Ermahnungen, dass sie das Zimmer auf keinen Fall verlassen, niemandem die Tür öffnen und auch nicht ans Telefon gehen sollte. Sie war klug genug, das selbst zu wissen. Ich schnappte mir den Autoschlüssel vom Tisch und verließ, mit einem letzten Blick zu Jules, die sich wieder unter der Decke zusammengerollt hatte, das Zimmer.
Obwohl gerade ich, der ich all die Jahre Luzifers Vorliebe für warmes Klima ausgesetzt gewesen war, daran gewöhnt sein sollte, trafen mich die Hitze und das grelle Sonnenlicht überraschend. Ich schirmte die Augen mit der Hand ab, lief zum Treppenhaus und folgte den Stiegen nach unten. Bis ich am Wagen ankam, hatten sich meine Augen zumindest so weit an das Licht gewöhnt, dass ich nicht mehr ständig blinzeln musste.
Fünfzehn Minuten lang folgte ich verschiedenen Straßen mit nur einem Ziel: fort vom Motel und von Jules. Als ich schließlich auf einen Supermarktparkplatz bog, suchte ich mir eine Parklücke, weit weg vom Eingang und halb im Schatten hoher Palmen verborgen. Da das Metall der Karosserie meine Kräfte blockierte, stieg ich aus und zog mich hinter eine Gruppe Palmen zurück.
Ich wollte nicht länger Angst um Jules haben müssen. Und es gab nur einen Weg, wie ich sie aus der Schusslinie bringen konnte: Ich musste Shandraziel finden und diese Sache beenden. Da ich wusste, dass er sich mir nicht freiwillig stellen würde, musste ich ihn eben dazu zwingen.
Ich richtete meine Konzentration auf mein Ziel und versetzte mich.
Wie ich gehofft hatte, fand ich Luzifer in der zerklüfteten Lavahöhle, wo er Hof hielt. Selbst nach Jahrtausenden, in denen ich unzählige Male hier gewesen war, konnte ich denSchwefelgeruch immer noch nicht ausstehen, der schwer in der erhitzten Luft lag.
Luzifer saß am gegenüberliegenden Ende der Höhle auf seinem Thron, unzählige Gefallene sammelten sich in einer unübersichtlichen Traube vor ihm und lieferten nach und nach ihre Berichte ab. Die Temperaturen hier unten übertrafen die floridianische Hitze um Längen, vielleicht war es auch der Gedanke daran, wie verrückt es war, mich ausgerechnet an Luzifer zu wenden, der mir den Schweiß aus den Poren trieb. Ich straffte die Schultern und bahnte mir einen Weg zwischen den Gefallenen hindurch.
Als Luzifer mich sah, winkte er die anderen fort. Einer nach dem anderen verschwanden sie vor meinen Augen, als würden sie in der Hitze zerfließen. In Wahrheit versetzten sie sich natürlich nur, die Vorstellung, dass sie einfach zerschmolzen, hatte jedoch durchaus ihren Reiz.
»Kyriel«, empfing er mich, als ich vor seinen Thron trat und mich verneigte. Er hatte Shorts und Flipflops gegen einen dunklen Anzug getauscht, der in dieser Umgebung lächerlich deplatziert hätte wirken müssen. Stattdessen verlieh er ihm die beeindruckende Aura eines Herrschers, der sich seiner Macht nur zu sehr bewusst war. »Bist du zur Vernunft gekommen?«
»Ich versuche immer noch, deine Anweisung umzusetzen, Morgenstern.« Aus Furcht, er könnte meine wahren Beweggründe in meinen Augen erkennen, richtete ich meinen Blick knapp über seinen Kopf hinweg auf die schwarze Wand in seinem Rücken, an der glühende Lavaströme zäh herabflossen. »Du hast mich aufgefordert, meinen Streit mit Shandraziel zu einem Ende zu bringen, das kann ich jedoch nicht, solange er sich vor mir versteckt.«
»Du nennst ihn einen Feigling?«
»Das tue ich.«
Luzifer sagte nichts. Sein Schweigen jedoch gefiel mir ebenso wenig wie die Tatsache, dass er sich von seinem Thron erhob und auf mich zukam. Langsam umrundete er mich, wobei er mich von oben bis unten musterte. »Du bist längst einer von ihnen, nicht wahr?«
Den Blick geradeaus gerichtet und bemüht, Haltung zu bewahren und keine Schwäche zu zeigen, sagte ich: »Ich bin der, der ich immer war. Wir hatten in letzter Zeit unsere Differenzen, aber ich weiß, dass du immer jemand warst, der die Ansicht vertritt, Differenzen müsse man austragen. Genau das möchte ich mit Shandraziel tun. Ich bin es leid, dass er mich wie ein Schatten verfolgt.«
»Vielleicht ist es sein Auftrag, das zu
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