Seelenglanz
hätte, dass sie dadurch ihren Schutz verlieren würde.
Die Augen des Gefallenen schimmerten im gedämpften Licht beinahe schwarz. Ein beängstigender Anblick, der durch seine nächsten Worte nichts von seiner Bedrohlichkeit verlor. »Weißt du«, sagte er beinahe nachdenklich, »ich könnte dich auf sehr schmerzhafte Weise töten – deine Wiedergeburt und die anschließende Heilung würden dadurch sehr unangenehm werden. Und wenn du dich erholt hast, könnte ich dich noch einmal umbringen. Vor seinen Augen und dann endgültig.« Er zuckte die Schultern. »Aber abgesehen davon, dass Kyriel mir sowieso eine Seele schuldet, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass mir dein Tod nur eine kurze Befriedigung verschaffen würde. Sicher, Kyriel würde die Wände hochgehen, aber irgendwann würde er sich auch wieder beruhigen. Vielleicht erst in Wochen, Monaten oder Jahren. Womöglich hätte er dich aber schon vergessen, noch bevor du unter der Erde liegst. Wer weiß das schon?«
Seine Worte konnten ihr nichts anhaben. Das waren nichts als Lügen. Sie hatte die Sorge in Kyriels Augen gesehen und wusste, dass er sie nicht so einfach vergessen würde. Für eine Sekunde war diese Erkenntnis tröstlich, dann jedoch wurde ihr bewusst, dass es genau das war, was Shandraziel erreichen wollte: Kyriel zu treffen. Ganz zu schweigen davon, dass ihr Leben immer noch in Gefahr war: Spätestens wenn er begriff, dass sie ihm ihre Seele nicht verkaufen würde, würde er seine Vorsätze womöglich über Bord werfen und sie aus bloßer Wut umbringen.
Ungehindert hatte sie sich bis zur hinteren Bettkante geschobenund ließ im Schutz der Decke langsam einen Fuß zu Boden gleiten. Wenn sie schnell genug auf die Beine käme, könnte sie ihn vielleicht überrumpeln, einen Haken schlagen und an ihm vorbei aus dem Zimmer fliehen. Es war mittlerweile Abend geworden und ringsherum füllten sich die Zimmer mit Leben. Seit sie aufgewacht war, waren immer wieder Schritte auf den Gängen und das Schlagen von Türen zu hören gewesen. Lästige Zeugen, die Shandraziel vielleicht davon abhielten, sie zu verfolgen. Aber was, wenn er Zeugen einfach aus dem Weg räumte?
»Jedenfalls ist mir der Gedanke gekommen, dass ich Kyriel viel härter treffen kann, wenn er dauerhaft mit deinem Anblick konfrontiert ist«, fuhr Shandraziel ungerührt fort. »Dem Anblick einer leeren, seelenlosen Hülle, die sich nicht einmal mehr an ihn erinnern wird. Dafür werde ich sorgen.«
»Ich habe dir schon mehrfach gesagt, dass du meine Seele nicht bekommst«, sagte Jules. »Und ohne mein Einverständnis kannst du sie nicht nehmen!«
»Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer Einigung gelangen werden.«
»Das hast du auch an dem Tag gesagt, an dem du mich auf die Straße gestoßen und mir diesen Typ mit dem Messer auf den Hals gehetzt hast. Genutzt hat es dir nichts.«
Für einen Moment verzog sich seine Miene, verwandelte sich von den überirdisch schönen Zügen des Gefallenen in eine Fratze der Wut. Er fing sich jedoch schnell wieder und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. »Wusstest du, dass dein Engel sterben wird?« Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Es müsste eigentlich jeden Moment so weit sein.«
»Was?«
»Er hat den Morgenstern enttäuscht. Ihn verraten! Glaubst du ernsthaft, er könnte jetzt einfach zu ihm marschierenund dabei mit dem Leben davonkommen? Steh auf, ich zeige es dir.«
Er winkte sie zu sich heran, doch Jules rührte sich nicht vom Fleck. »Ganz bestimmt nicht!«
»Du willst ihn einfach sterben lassen?«
Jules rang mit sich. Sie vertraute dem Gefallenen nicht. Aber was, wenn er recht hatte? Was, wenn Kyriel tatsächlich in Gefahr war? Von hier aus konnte sie ihm nicht helfen.
Sie sprang aus dem Bett. Ihr Bein verhedderte sich in der Decke, es gelang ihr gerade noch, sich mit einem Satz nach vorne vor einem Sturz zu retten. Dann war sie am Fußende des Bettes. Wie ein Schachtelteufel schoss Shandraziel auf die Beine und vertrat ihr den Weg zur Tür. Jules schlug einen Haken und stürmte auf die Verbindungstür zu, um über das Nebenzimmer nach draußen zu fliehen.
Sie war zu langsam.
Shandraziel bekam sie bei den Haaren zu fassen. Er riss sie zurück, drehte sie so schwungvoll herum, dass sie glaubte, er würde ihr den Hals brechen, und drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand. In seinen Augen blitzte kalte Wut, und als er sein Gesicht dicht vor ihres brachte, schlug ihr sein Pfefferminzatem entgegen.
Er war ihr jetzt ganz nah.
Viel zu
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