Seelenglanz
umzudrehen. »Alles im Griff.«
»In der Kühlung steht noch ein Blech mit fertig marinierten Rippchen.«
Wieder nur ein Wedeln mit der Fleischzange. »Alles klar!«
Er hätte ebenso gut »Verschwinde!« sagen können. Der Tonfall wäre derselbe gewesen. Dann jedoch drehte er sich zu ihr herum. »Hör mal, Jules, ein paar von uns gehen später noch in einen der Klubs. Ein paar Cocktails, ein bisschen tanzen. Hast du Lust?«
Sie wäre gerne mitgegangen. Die Leute aus dem Restaurant waren im Augenblick die einzigen Menschen, mit denen sie hin und wieder auch etwas nach der Arbeit unternahm. Eigentlich hatte sie nicht die Zeit, sich bis spät in der Nacht in irgendwelchen Klubs herumzutreiben, aber es gab einfach Tage, an denen sie die Abwechslung brauchte, ebenso wie den Kontakt zu Menschen, die nichts mit ihrer Schule oder ihrer Mutter zu tun hatten. Eine Sekunde lang war sie tatsächlich versucht, sich mit Matt und den anderen zu verabreden und alles andere zu verdrängen. Aber sie brauchte den Abend. Wenn sie heute keine Lösung für ihr Problem fand, würde es keine Nächte mehr in Tanzklubs geben – dann konnte sie auf der Straße tanzen. Unter der Brücke, unter der sie mit ihrer Mutter wohnen würde.
»Heute geht es nicht.« Vielleicht, wenn ich Joe überreden kann, mir doch zu helfen.
»Okay, dann ein andermal.« Matt wandte sich wieder dem Grill zu.
Jules nahm die Schürze ab, hängte sie zusammen mit der Baseballkappe an einen Haken neben der Tür und verließ die Küche. Joe saß in seinem Büro hinter dem Schreibtisch, mit Taschenrechner und Bleistift bewaffnet. Vor ihm türmten sich die Abrechnungen der letzten Woche.
Sie blieb auf der Schwelle stehen und klopfte an die offene Tür. Joe sah auf. »Was gibt es, Jules?«
»Hast du einen Moment für mich?«
»Komm rein.«
Sie folgte seiner Aufforderung und schloss die Tür hinter sich. Es musste ja nicht jeder, der am Büro vorbeikam, von ihren Problemen erfahren. Vor seinem Schreibtisch blieb sie stehen. Es fiel ihr schwer, einen Anfang zu finden. Ihr Stolz hatte es noch nie zugelassen, um Almosen zu bitten.
Aber das war kein Almosen! Sie würde jeden Cent zurückzahlen – mit Zinsen. »Ich …« Nach Worten suchend rieb sie sich über den Handrücken. »Ich weiß, dass du mir keine weiteren Schichten geben kannst, aber ich dachte, vielleicht könntest du mir ein wenig Geld leihen.« Joe setzte zu einer Antwort an, doch Jules ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Warte! Bevor du etwas sagst, hör dir erst an, was ich zu sagen habe. Ich werde mir einen weiteren Job suchen und dir das Geld so schnell wie möglich zurückzahlen. Das verspreche ich! Du weißt, dass ich zuverlässig bin.«
»Ja, das weiß ich.« Er schüttelte ratlos den Kopf und schichtete ein paar seiner Abrechnungen auf einen Stapel. »Du hast bereits diesen Job, du schmeißt den Haushalt und kümmerst dich um deine Mutter. Wie willst du noch Zeit für deine Schule finden, wenn du eine weitere Arbeit annimmst?«
»Ohne das Geld gibt es keine Schule mehr.«
Joe sah auf. »Was soll das heißen?«
»Das Schulgeld ist für die Miete draufgegangen.«
»Scheiße.« Mehr brauchte Joe nicht zu sagen. Er kannte Jules’ Mutter und wusste über ihre Probleme Bescheid. »Du weißt, dass ich dir helfen würde, wenn ich könnte.« Er lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück und fuhr sich müde über das Gesicht. »Aber ich kann nicht. Es steht schlechter um den Laden, als ich zugeben mag. Mein Konto ist bis zum Anschlag überzogen, und ich schaffe es gerade noch so, die laufenden Kosten zu bestreiten. Wenn sich in dennächsten Monaten nicht gravierend etwas ändert, muss ich zusperren.«
Jules wollte etwas sagen, doch in diesem Augenblick konnte sie nur daran denken, dass sie dann ganz ohne Job dastehen würde. Bevor sie den Mund aufmachen konnte, fuhr Joe fort: »Ich schreibe dir ein paar Adressen auf. Bekannte und Freunde von mir, die vielleicht noch jemanden suchen.«
Er zog ein Blatt aus dem Drucker und griff zum Stift. Eine Weile war das Kratzen des Kugelschreibers das einzige Geräusch im Büro. Als er fertig war, standen sieben Adressen auf dem Blatt. Mehr als sie zu hoffen gewagt hatte. »Sag ihnen, dass ich dich schicke.«
Jules nahm das Blatt an sich. »Es tut mir leid, dass die Dinge so schlecht stehen.«
»Mir auch, das kannst du mir glauben.« Er tippte auf die Papierstapel vor sich. »Ich muss weitermachen, sonst steigt mir auch noch das Finanzamt aufs Dach. Viel
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