Seelengrab (German Edition)
ein Arm über den Rand und hing schlaff herab.
„Ahl Säu“, rief eine Frau aus der vorderen Reihe und spuckte auf den Boden.
Sie trug ein wallendes schwarzes Kleid. Ein neonpinker Trauerschleier verhüllte ihr Gesicht.
„Feichling“, wetterte eine andere in einem Herrensmoking, der ihr drei Nummern zu groß war.
„Schande, Schande“, ließen sich die hinteren Reihen vernehmen.
Die Trommelschläge schwollen zu einem treibenden Rhythmus an.
„Werft ihn ins Feuer!“, donnerte der Priester und bekreuzigte sich.
Die beiden Messdiener hatten den Scheiterhaufen inzwischen fast erreicht. Sie setzten die Bahre ab, fassten den Körper an Schultern und Fußgelenken und schleuderten ihn ins Feuer. Eine gelbe Stichflamme schoss in die Höhe, als der Nubbel auf dem Scheiterhaufen landete. Die Umstehenden wichen zurück. Als die Flammen den Körper verzehrten, stimmte die Trauergemeinde ein Lied an. Die meisten hakten sich bei ihrem Nebenmann unter und wiegten sich schwankend im Takt. Der Kies knirschte unter ihren Füßen. Jemand köpfte eine Flasche Sekt und ließ ein paar Plastikbecher kreisen. Nach einer Weile löste sich die Gesellschaft langsam auf. Während der Priester und die beiden Messdiener beim Feuer stehen blieben, machten sich die Ersten auf den Heimweg.
„Warum hast du es plötzlich so eilig?“, hielt ein schlaksiger Mann mit zerbeultem Zylinder die Frau im schwarzen Kleid zurück.
Sie hatten den Fuß der schmalen Steintreppe erreicht, die vom Flussbett hoch zur Promenade führte.
„Ich weiß nicht“, lächelte sie, raffte ihr Kleid und stieg unsicheren Schrittes die Stufen hoch.
„Die Nacht ist noch jung“, war seine Stimme dicht hinter ihr.
„Hast du etwa noch nicht genug vom Karneval?“, fragte sie und drehte sich halb zu ihm um.
Auf der nächsten Stufe verfing sich ihr linker Schuh zwischen den Lagen ihres Tüllunterrocks. Sie stolperte und drohte nach hinten zu fallen. Sofort war er bei ihr und fing sie auf.
„Vom Karneval ja, aber nicht von dir“, flüsterte er ihr ins Ohr und stellte sie wieder auf die Füße.
Sie errötete unter ihrem Schleier und lachte leise. Als sie die Treppe erklommen hatten, griff sie wortlos nach seiner Hand. Sie gingen ein paar Schritte, dann drehten sie sich noch einmal um und schauten zurück auf den Scheiterhaufen, der nach wie vor lichterloh brannte. Die Personen, die am Ufer zurückgeblieben waren, warfen lange Schatten auf den Kiesboden.
„Ich hätte nicht gedacht, dass eine Beerdigung so schön sein kann“, meinte er und drückte ihre Hand.
Ihre Blicke suchten sich in der Dunkelheit. Dann näherten sich ihre Gesichter langsam.
„Ihr habt kein bisschen Anstand im Leib“, erklang eine belegte Stimme neben ihnen, als ihre Lippen sich trafen. „Die Leichenfeier ist noch nicht beendet und ihr liegt euch schon in den Armen.“
„Alex, lass die Späße und zieh Leine!“, beschwerte sich der Zylinder.
„Ja, ja, schon gut, dann will ich euch Turteltäubchen nicht länger stören“, gab Alex schulterzuckend zurück und trottete los.
„Komm mit!“, kicherte die schwarze Braut, als Alex außer Hörweite war, und lief los.
„Warte! Was hast du vor?“, versuchte er sie zurückzuhalten.
„Wird nicht verraten“, kam es zur Antwort.
Damit verließ sie den asphaltierten Fußgängerweg und verschwand zwischen zwei ausladenden Sträuchern, die ihr bis zur Schulter gingen und eine Art Dach aus Zweigen bildeten.
„Du bist total verrückt“, scherzte er und schlug sich ebenfalls in die Büsche.
Die nächste Laterne war ein paar Meter entfernt und warf nur spärliches Licht in ihre Richtung. Er versuchte daher, sich an den Bewegungen der Zweige zu orientieren, um mit ihr Schritt zu halten.
„Ich weiß. Deswegen magst du mich ja auch“, hörte er sie ein Stück vor sich.
„Wo steckst du?“, wollte er wissen, als sie offenbar stehen geblieben war.
„Folge einfach meiner Stimme.“
„Was machst du da?“, fragte er, als er ihr Gesicht zwischen ein paar Ästen hervorblitzen sah.
Sie hockte auf dem Boden und schien etwas zu suchen.
„Als Kinder haben wir hier immer gespielt“, erklärte sie. „Irgendwo muss ein Loch im Zaun sein.“
„Jetzt sag nicht, dass du ins Römerbad einsteigen willst!“
„Das klingt so melodramatisch. Wir machen nur einen kleinen Ausflug und sind weg, bevor uns jemand entdeckt.“
Während sie redete, hatte er zu ihr aufgeschlossen und ging neben ihr auf dem gefrorenen Boden in die Hocke.
„Bist du
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