Seelengrab (German Edition)
wir Sie begleiten?“
„Wenn es Sie glücklich macht, Kirchhoff. Sie lassen sich ja eh nicht davon abhalten.“
Damit kämpfte sich die Fotografin unter dem Flatterband hindurch, das die Spurensperrzone markierte. Kirchhoff und Hirschfeld folgten ihr in einigem Abstand zu ihrer Ausrüstung, die sie vor einem Baumstumpf abgestellt hatte. Sie griff nach einem Rucksack, der neben einer weiteren Fototasche stand, und zog einen schwarzen Laptop daraus hervor. In Ermangelung einer besseren Unterlage stellte sie das Notebook auf den Rucksack und klappte das Display auf. Während sie das Betriebssystem hochfahren ließ, zog sie die Speicherkarte aus der Kamera und wartete fingertrommelnd darauf, dass sich die Windows-Oberfläche aufbaute.
Gerade als der Desktop auf dem Monitor erschien, brach ein lautstarker Tumult an der äußeren Absperrung aus.
„War nur eine Frage der Zeit, bis die Presse hier auftaucht“, meinte Kirchhoff und warf einen Blick in die Richtung, aus der die Stimmen kamen.
Hirschfeld drehte sich ebenfalls um und entdeckte mehrere Reporter, die sich lautstark mit zwei Streifenpolizisten auseinandersetzten. Sie mussten den Polizeifunk abgehört und sofort zur Leichenfundstelle aufgebrochen sein.
„Hier gibt es nichts zu sehen“, hörten sie einen der Beamten sagen.
Hirschfeld wusste aus Erfahrung, dass dieser Satz sachlich falsch war und meist das genaue Gegenteil bewirkte: Schaulustige wurden nur noch neugieriger und zudringlicher und die Presse verdoppelte ihre Anstrengungen, an Informationen zu kommen.
„Verdammte Aasgeier!“, erwiderte die Fotografin und steckte die Speicherkarte seitlich in das integrierte Lesegerät des Laptops.
„Sie halten wohl nicht viel von Ihren Kollegen“, bemerkte Hirschfeld.
„Kollegen? Sie machen Witze!“, erwiderte sie verächtlich und tippte auf der Tastatur herum. „Von welchem Planeten kommen Sie denn?“
„Berlin.“
„Dann müssten Sie es doch besser wissen.“
„Wie sieht es aus?“, unterbrach sie Kirchhoff.
„Sekunde, ich kann nicht zaubern oder sehen Sie einen Hexenhut auf meinen Kopf?“
Die Fotografin hatte ein Programm geöffnet. Als sich nach und nach ein paar Bilder öffneten, atmete sie erleichtert auf und schlug einen deutlich freundlicheren Ton an:
„Noch mal Glück gehabt. Während ich meine Ersatzkamera klarmache, können Sie gerne einen Blick auf die Fotos werfen.“
Damit drehte die Fotografin das Notebook in ihre Richtung.
„Könnten Sie mir noch einen Gefallen tun, Renee?“, fragte Kirchhoff.
„Sicher.“
„Wenn Sie fertig sind und sich umgezogen haben, machen Sie bitte ein paar Bilder von den Personen hinter der Absperrung. Ich möchte wissen, wer sich neben den Zeugen hier sonst noch aufhält.“
„Kein Problem.“
„Aber gehen Sie bitte möglichst unauffällig vor.“
„Das versteht sich wohl von selbst, Kirchhoff“, entgegnete Renee und erhob sich.
Nachdem die Fotografin wieder zwischen den Eibensträuchern verschwunden war, gingen Kirchhoff und Hirschfeld in die Hocke und begannen schweigend, die Aufnahmen auf dem Bildschirm zu sichten. Die ersten Fotos zeigten verschiedene Totalansichten des Leichenfundortes. Da die drei Halogenstrahler genügend Licht spendeten, kamen die Bilder ohne Blitz aus. Ein paar Mausklicks weiter rückte die Tote in den Fokus. Die Fotografin hatte neben mehreren Nahaufnahmen auch Detailfotos gemacht, die das sich darbietende Grauen auf erschreckend nüchterne Art einfingen. Schwarz-weiße Maßstäbe unterschiedlicher Länge sorgten dafür, dass die Größenverhältnisse zu erkennen waren. Als Erstes kamen die nackten Füße der Toten in den Blick. Die Haut war weiß und wächsern und wirkte fast durchsichtig. Dem ersten Eindruck nach hatte der Täter die Leiche abgelegt und behelfsmäßig mit Laub bedeckt.
„Er war noch nicht fertig mit ihr“, sprach Kirchhoff aus, was Hirschfeld gerade gedacht hatte.
„Sieht ganz danach aus.“
Obwohl die beiden Eibensträucher durch die von Nadeln dicht bewachsenen Äste einen ausreichenden Sichtschutz zur Rheinpromenade boten, war es riskant gewesen, die Leiche nicht sofort zu vergraben. Die Vermutung lag nahe, dass der Täter gestört worden war. Oder die Gefahr suchte.
„Ich frage mich, aus welchem Grund der Mörder die Tote nicht in den Rhein geworfen hat“, sagte Kirchhoff und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Es war nicht zu übersehen, dass die Sitzposition seine Knie auf eine harte Probe stellten. „Es hätte
Weitere Kostenlose Bücher