Seelengrab (German Edition)
Susanne Bach und einem Teilabdruck von Lena Zimmermann befanden sich keine weiteren verwertbaren Spuren darauf.
„Die nächste Frage, bitte!“
„Erwarten Sie weitere Morde?“, folgte eine ältere Dame in einem grauen Wollkostüm Noacks Aufforderung.
„Darauf habe ich keine eindeutige Antwort“, musste der Leiter des KK 11 eingestehen und fuhr sich mit der Rechten durch die grauen Haare.
Dieser Punkt hatte Hirschfeld bereits die halbe Nacht gekostet. Bei zwei Morden mit einem ähnlichen Modus operandi und derselben Handschrift lag die Vermutung nahe, dass es sich um den Beginn einer Serie handelte. Erfahrungsgemäß verkürzten sich die Abstände, die sogenannten Abkühlungsphasen, zwischen den Morden. Wenn dies auch auf ihren Fall zutraf, mussten sie schleunigst Ergebnisse liefern.
Der Vibrationsalarm seines Handys riss Hirschfeld aus seinen Gedanken: ein Anruf von Jo. Er drückte die Ablehnen-Taste. Seine Schwester würde sich noch ein wenig gedulden müssen, bis er sie zurückrufen konnte.
40
Ich weiß, dass sie mich nicht nur im Speisesaal beobachtet. Sie hat ihre Augen überall. Die schwarzen Flecken an der Wand sind ihre Spione. Manchmal wandern sie über die Tapete und folgen mir in jedes Zimmer. Dann werden sie immer größer, verschlucken mich fast. Hab grad wieder einen Fleck entdeckt. Ist mir bis zur Schule hinterhergekommen. Er sitzt oben an der Decke und drückt sich in die Ecke. Schließ die Augen, will nicht mehr hier sein. Als ich wieder hinseh, ist er weg! Vielleicht hab ich mich geirrt und sie lassen mich heute in Ruhe. Aber so weit sind sie noch nie gegangen. Da! Da ist er wieder! Er hat es bis zur Fußleiste geschafft und kriecht über den Linoleumboden. Die anderen Kinder sehen ihn nicht. Sie müssen sich auch nicht fürchten, denn er hat es bloß auf mich abgesehen. Jetzt sind es nur noch wenige Zentimeter bis zu meinen Schuhen. Halt es nicht mehr länger aus. So kann es nicht weitergehen! Wenn er mich kriegt, bekomm ich die Schwarze Pest. Dann lande ich in der Hölle und bin für immer verloren. Lass den Bleistift fallen und heb die Hand. Die Lehrerin lässt mich aufstehen. Ich schau auf den Boden, während ich zwischen den Tischreihen zur Tür geh. Gleich hab ich’s geschafft. Als ich auf dem Flur bin, fang ich an zu rennen. Dreh mich immer wieder um. Der schwarze Fleck ist mir dicht auf den Fersen. In meinem Brustkorb brennt es. Ich lauf weiter und bleib erst bei den Toiletten stehen. Reiß die Tür auf und öffne hastig eine der Kabinen. Dann schließ ich ab, weiß aber, dass mir das nichts helfen wird. Schon seh ich einen schwarzen Schatten unter der Tür. Ich klapp den Klodeckel runter und spring auf die Toilette. Kann den Fleck jetzt sehen. Er verschwindet unter dem Rand der Kloschüssel. Gleich hat er mich! Mein Herz schlägt wie wild. Bekomm kaum noch Luft. Mach meinen Gürtel auf und reiß ihn aus der Hose. Dann zieh ich das Ende durch die Schnalle. Meine Hände zittern, als ich mir die Schlaufe um den Hals lege. Muss mich auf die Zehenspitzen stellen, damit ich an den Spülkasten über mir komme. Der Fleck hat es bis zum Deckel geschafft. Schnell knote ich das Gürtelende fest und lass mich fallen. Ein Ruck geht durch meinen Körper. Fang an zu röcheln. Mir wird schwarz vor Augen. Bevor ich weg bin, spür ich, wie eine Hand nach mir greift. Bitte! Lasst mich sterben!
41
„Muss das Schwimmbad ausgerechnet mittwochs geöffnet haben?“, beschwerte sich Kirchhoff.
Der Kriminalhauptkommissar stand mit hochgezogenen Schultern vor dem Eingang des Frankenbads und bedachte Hirschfeld mit einem vorwurfsvollen Blick.
„Es gibt Schlimmeres“, erwiderte Hirschfeld und dachte an ihren Vormittag, an die alleinerziehende Mutter in ihrer Zwei-zimmerwohnung am Stadtrand, in der Schimmel die Tapeten von der Wand schälte, an die müden Gesichter der drei Kinder und den Husten, der ihre kleinen Körper regelmäßig schüttelte.
Auf richterlichen Beschluss hatte das Einkaufszentrum, in dem Susanne Bach zuletzt gesehen worden war, die Liste der Kunden herausgegeben, die sich zum fraglichen Zeitpunkt mit ihr im Supermarkt aufgehalten hatten. Es war reine Routinearbeit gewesen, den Personen auf der EC-Kartenabrechnung eine Adresse zuzuordnen. Seit dem Morgen waren mehrere Beamte der MK Rheinufer damit beschäftigt, die Zeugen zu befragen. Hirschfeld und Kirchhoff hatten die Personen übernommen, die in den sozial schwächeren Stadtbezirken lebten. Bei Werner Krause hatten sie
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