Seelengrab (German Edition)
auf mich auf. Er sieht genauso traurig aus wie ich. Manchmal seh ich, wie ihm rote Tränen aus den Augen laufen. Wundert mich nicht. Er hat Schmerzen. Sein nackter Körper blutet an vielen Stellen. Jemand hat ihm einen Kranz auf den Kopf gesetzt. Mit spitzen Stacheln dran. Schwester Hildegard sagt, dass er für meine Sünden gestorben ist. Das tut mir leid. Dabei hab ich doch gar nichts getan, oder?
48
Hirschfeld griff in seine Jacketttasche, holte seine Packung Zigaretten heraus und öffnete die Schachtel, die er Heiko Berg hinhielt. Berg fingerte sich zitternd eine Zigarette heraus. Hirschfeld gab ihm Feuer und beobachtete, wie Berg heftig daran sog. Seine Augen wanderten unruhig hin und her. Offenbar hatte der Mann erst jetzt begriffen, welcher Verdacht gegen ihn im Raum stand.
„Okay, dann lassen Sie mal hören, Herr Berg“, begann Hirschfeld das Verhör.
Zu gerne hätte er auch ein paar Züge genommen. Allerdings herrschte im Polizeipräsidium striktes Rauchverbot. Um Verdächtige zum Reden zu bringen, sahen sie darüber hinweg. Ein vergleichsweise zweifelhaftes Privileg.
„Mit dem Mord an dem Mädchen hab ich nichts zu tun!“
Heiko Berg inhalierte tief, um den Rauch dann wieder zwischen den Lippen herauszupressen.
Hirschfeld musterte Berg ein paar Sekunden, bevor er entgegnete:
„Wie sind Sie zu dem Fahrzeug gekommen, Herr Berg?“
Wenn Heiko Berg die beiden Mädchen ermordet hatte, wollte Hirschfeld ihm die Gelegenheit geben, sich Schritt für Schritt an seine Taten heranzutasten. Verfiel der Verdächtige wieder in Schweigen, nützte er ihnen nicht mehr viel.
„Der Audi?“
„Ja, der Audi.“
„Schon gut. Der Wagen ist mir bereits vor ein paar Tagen aufgefallen.“
„So?“
„Ja, muss drei, vier Tage her sein“, gab Berg zurück und schnippte die abbrennende Glut in Ermangelung eines Aschenbechers auf den Boden.
„Wo stand das Fahrzeug?“, ging Hirschfeld auf Bergs Version ein.
„Na, auf der Auguststraße, hinter der Tapetenfabrik in Beuel.“
„Und weiter?“, war Hirschfeld versucht, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln, hielt sich jedoch zurück.
„Die Karre stand einfach so da.“
Das hatten parkende Autos so an sich, dachte Hirschfeld.
„Dann kommen Sie doch mal auf den Punkt, Herr Berg.“
Heiko Berg nahm einen weiteren Zug und rieb mit der anderen Hand über seinen Oberschenkel.
„Also, heute Abend dachte ich mir, ich schau mal, was mit dem Wagen ist. Ein Blick durchs Seitenfenster und siehe da: Der Schlüssel steckte. Da bin ich eingestiegen und losgefahren. War eher so eine spontane Sache.“
Jetzt wurde Berg richtig redselig.
„Als ich in die Stadt fahren wollte, kam mir dieser Streifenwagen in die Quere. Ich dachte mir, das wird schon gut gehen, aber an der Ampel haben die Bullen mich ins Visier genommen. Da hatte ich einfach ’nen Kurzschluss. Ich bin aufs Gas gestiegen und los. Den Rest kennen Sie ja.“
„Sie wollen mir also sagen, dass Sie den Wagen geklaut haben?“, fragte Hirschfeld und beugte sich auf seinem Stuhl nach vorne.
„Na, geklaut … Ist Auslegungssache“, murmelte Berg trotzig.
Jetzt konnte Hirschfeld seine Ungeduld kaum noch verbergen:
„Herr Berg, bei allem Respekt: Das haben Sie sich doch gerade ausgedacht!“
„Nein, ich hab Ihnen die Wahrheit gesagt, ehrlich!“, protestierte Berg.
„Tatsächlich? Ich glaube Ihnen kein Wort!“, erwiderte Hirschfeld und zog gleichzeitig in Erwägung, dass Berg tatsächlich dämlich genug sein konnte, das Fahrzeug eines Mordopfers zu stehlen. „Ich sage Ihnen, wie es sich wirklich abgespielt hat: Sie sind am Abend vor Aschermittwoch in Pützchen im Einkaufszentrum gewesen. Dort sind Sie Susanne Bach begegnet.“
Hirschfeld tippte mit dem Finger auf das Foto vor ihm.
„Wahrscheinlich hat sie Ihnen einen Korb gegeben“, fuhr er fort. „Damit konnten Sie sich nicht abfinden. Deshalb sind Sie ihr auf den Parkplatz gefolgt, haben sie überwältigt und verschleppt. Sie haben ihren Wagen benutzt. Später haben Sie die junge Frau getötet und heute versucht, den Wagen loszuwerden.“
Heiko Berg hatte bei jedem Satz heftig mit dem Kopf geschüttelt und auf seiner Unterlippe herumgekaut. Als Hirschfeld geendet hatte, schlug er mit der Faust auf den Tisch und sprang auf, dass sein Stuhl umkippte.
„Sie wollen mir da was anhängen!“, brüllte er.
Sein Kopf war hochrot.
„Setzen Sie sich wieder auf Ihren Platz!“, sagte Hirschfeld bestimmt, der wenig beeindruckt war von Bergs
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