Seelengrab (German Edition)
Erde verschwindet. Das ist alles.“
„Was soll das heißen?“, erkundigte sich Hirschfeld sofort.
„Das tut hier nichts zur Sache“, blaffte Winkler, „etwas Persönliches.“
„Und Lena?“, ließ Hirschfeld nicht locker.
„Lena war die Großnichte der Verstorbenen, nur deshalb sind wir uns dort begegnet. Ich war viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um auf sie zu achten.“
„Was haben Sie nach der Beerdigungsfeier gemacht?“
„Da saß ich mit früheren Bekannten zusammen, fast die ganze Nacht, aber das können Sie ja nachlesen. Von Lena habe ich nichts mitbekommen.“
„Und Susanne Bach?“, schaltete sich Kirchhoff ein.
„Ich kenne keine Susanne Bach. Ich war an dem Samstag einzig und allein auf dem Nordfriedhof, um meinen Auftrag zu erledigen“, antwortete Winkler monoton. Er klang jetzt müde.
Hirschfeld schwieg und betrachtete den Mann. Mehr war nicht aus ihm herauszuholen, das spürte er. Er stand auf, ging zur Tür und winkte den Beamten wieder herein.
„Denken Sie noch einmal über die DNA-Probe nach“, empfahl er dem Fotografen, als dieser abgeführt wurde.
64
Als Hirschfeld am nächsten Morgen ihr gemeinsames Büro betrat, begrüßte ihn sein Kollege müde:
„Guten Morgen, du siehst fürchterlich aus.“
„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen“, knurrte Hirschfeld, schloss die Tür hinter sich und zog seinen Ulster- Mantel aus.
„Hast du heute Morgen schon mal in den Spiegel geschaut? Du siehst aus, als hättest du auf einer Parkbank geschlafen.“
„Danke für die Blumen“, erwiderte Hirschfeld und ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen.
„Bevor wir zur Morgenbesprechung gehen, solltest du dich noch etwas frisch machen. Deine Haare stehen nach allen Seiten“, meinte Kirchhoff sachlich.
„Zu Befehl“, salutierte Hirschfeld, obwohl er sicher war, dass Kirchhoff die Situation dramatisierte. „Hast du vielleicht eine Kopfschmerztablette?“
Kirchhoff zog seine Schreibtischschublade auf, wühlte darin und warf Hirschfeld schließlich einen Blister mit Tabletten zu.
„Danke“, murmelte Hirschfeld, stand auf und verließ das Büro. Er hatte eine weitere schlaflose Nacht hinter sich. Die Fälle ließen ihm keine Ruhe.
Der Weg zur Toilette kam ihm an diesem Tag noch länger vor als gewöhnlich. Die Architekten hatten bei der Planung dieses Gebäudes wenig Nachsicht mit blasenschwachen Beamten gehabt: Es galt, teilweise lange Strecken hinter sich zu bringen, um einen der Waschräume zu erreichen. Als Hirschfeld die Herrentoilette betrat, war er erleichtert, für einen Moment allein zu sein. Er stellte sich vor das Waschbecken, drehte den Hahn auf und ließ das Wasser in die hohle Hand laufen.
„Scheiße“, sagte Hirschfeld laut, als er aufsah und sich im Spiegel betrachtete.
Kirchhoff hatte nicht übertrieben: Hirschfeld sah tatsächlich furchtbar aus. Er war kreidebleich, seine Augen blutunterlaufen. Gerade als er sich das Wasser ins Gesicht spritzte, öffnete sich die Tür. Der penetrante Geruch des Aftershaves, der sich schlagartig im Waschraum ausbreitete, ließ Hirschfeld innerlich aufstöhnen: Ernst Friedrich Schumacher. Der General. In den letzten Tagen hatte Hirschfeld es erfolgreich geschafft, dem Leiter der Kriminalinspektion 1 aus dem Weg zu gehen. Jetzt war ein kurzes Gespräch unausweichlich.
„Müssen Sie nicht zur Morgenbesprechung, Junge?“, klopfte Schumacher ihm auf die Schulter.
„Guten Morgen“, sagte Hirschfeld nur und hoffte, dass Schumacher sich schnell wieder verzog.
Stattdessen blieb der Kriminaldirektor neben der Tür stehen und beobachtete Hirschfeld dabei, wie er sich mit ein paar Papierhandtüchern das Gesicht trocknete.
„Wohl zu wenig Schlaf“, stellte Schumacher fest, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihn von unten an. „Übertreiben Sie’s nicht gleich, neu wie Sie hier sind. Ich möchte keine Klagen hören.“
Blasiertes Arschloch, dachte Hirschfeld und zwang sich ein Lächeln auf.
„Ich muss los“, erwiderte er, warf die Papierhandtücher in den Abfallkorb und zwängte sich an Schumacher vorbei.
„Deine Haare stehen immer noch ab“, empfing ihn Kirchhoff kurz darauf wieder im Büro.
„Ich weiß, der General hat mir auf der Toilette ein paar gute Ratschläge gegeben.“
„Und da hast du das Weite gesucht“, beendete Kirchhoff den Satz.
„Ist Schumacher immer so arrogant?“, wollte Hirschfeld wissen.
„Ich habe ihn jedenfalls noch nie anders erlebt.“
Bevor
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