Seelengrab (German Edition)
großes Durcheinander.“
„Mit dem Zug?“
„Ja. Ich wollte zuerst mit einem Typen los, den ich über die Mitfahrzentrale vermittelt bekommen habe. Wir waren noch nicht auf der Autobahn, da wurde der Kerl bereits zudringlich.“
„Verdammt, ich habe dir doch schon 1.000 Mal gesagt, dass das gefährlich werden kann.“
„Ich weiß, deswegen habe ich ja auch so einen tierischen Aufstand gemacht, dass er mich gleich wieder hat aussteigen lassen.“
Hirschfeld konnte sich die Szene fast bildlich vorstellen.
„Warum bist du so überstürzt aufgebrochen?“, wollte er wissen.
„Franzi hat Beziehungsstress. Ihr Freund ist fremdgegangen. In dieser Situation konnte ich sie nicht allein lassen.“
„Wie lange bleibst du?“
„Keine Ahnung. Kommt darauf an, wann Franzi sich wieder beruhigt. Das könnte noch ein paar Tage dauern. Ach ja, falls du versucht haben solltest, mich auf dem Handy zu erreichen: Ich muss das Ding irgendwo liegen gelassen haben.“
„Auch das noch.“
„Du hörst dich schlecht an.“
Johanna hatte das Talent, elegant das Thema zu wechseln, wenn sie Mist gebaut hatte.
„Hör zu, ich muss auflegen. Wie erreiche ich dich die nächsten Tage?“
Jo gab ihm eine Festnetznummer durch.
„Pass auf dich auf, Kleines“, verabschiedete sich Hirschfeld.
„Sicher, du auch. Bis bald.“
Als Hirschfeld auflegte, fühlte er sich besser. Eine Sorge weniger.
63
Stimmengewirr und das Klappern von Besteck erfüllten die Cafeteria des Bonner Polizeipräsidiums. Hirschfeld saß mit Kirchhoff an einem der weißen Resopaltische und stocherte in seinem Essen, als Christian Hellmann aufgeregt an ihren Tisch trat.
„Ich hab euch schon überall gesucht“, sagte er atemlos.
„13 Uhr. Mittagszeit. Was sagt dir das, Hellmann?“, fragte Hirschfeld müde.
„Ja, ja, mach dich ruhig über mich lustig. Aber es dürfte euch interessieren, dass eine Zivilstreife gerade Jörg Winkler aufgegriffen hat. Der Mann, den ihr gestern habt laufen …“
„Wo?“, unterbrach Hirschfeld den Kriminalkommissar.
„Vor seiner Wohnung“, entgegnete Hellmann und reckte das Kinn nach vorne. „Er wird jeden Moment im Präsidium eintreffen.“
Hirschfeld ließ die Gabel sinken und stand auf. Dann verließ er wortlos den Tisch. Endlich kam Bewegung in die Sache. Kirchhoff folgte ihm.
Keine 20 Minuten später wurde Jörg Winkler in einen der Verhörräume geführt. Er trug Handschellen und noch dieselbe Kleidung wie am Vortag. Obwohl er mitgenommen aussah, blitzten seine Augen herausfordernd.
„Ich nehme an, dass ich Ihnen das Ganze hier zu verdanken habe!“, rief der Fotograf und hob die Hände, während er von einem Uniformierten zum Tisch geführt wurde.
„Setzen Sie sich“, entgegnete Hirschfeld, der bereits Platz genommen hatte. „Das haben Sie sich ganz allein zuzuschreiben, Herr Winkler!“
„Inwiefern?“, stützte sich Winkler mit beiden Händen auf den Tisch und wartete darauf, dass der Uniformierte ihm den Stuhl zurechtrückte. Dann ließ er sich nieder. „Ich bin mir keiner Schuld bewusst.“
„Sind Sie über Ihre Rechte aufgeklärt worden?“, ignorierte Hirschfeld den letzten Satz und verabschiedete den Uniformierten mit einem Nicken, nachdem dieser Winkler die Handschellen abgenommen hatte.
„Ja, bei meiner Verhaftung.“
„Mit den polizeilichen Gepflogenheiten kennen Sie sich ja bestens aus“, begann Hirschfeld das Verhör und schlug eine dicke Akte auf, die vor ihm lag.
Kirchhoff hatte unterdessen seinen Beobachtungsposten bezogen: Er stand, die Arme vor der Brust verschränkt, mit dem Rücken an der Wand. Mit gesenktem Kopf sah er Winkler von unten an. Keine noch so kleine Regung des Fotografen würde ihm entgehen.
„Worauf spielen Sie an?“, wollte Winkler wissen.
„Nun, beginnen wir mit Lena Zimmermann.“
„Müssen wir tatsächlich über diese alte Geschichte reden?“
„Ist Ihnen das Thema unangenehm?“, hakte Hirschfeld sofort nach und sah von den Unterlagen auf.
Winkler schwieg.
„Ich helfe Ihnen gerne, Ihre Erinnerung aufzufrischen: Sie haben Lena Zimmermann über drei Monate belästigt. Aus diesem Grund wurde gegen Sie eine einstweilige Verfügung erlassen. Muss ich noch weiter ins Detail gehen?“
„Das war ein einmaliger Fehltritt. Ich hatte eben etwas übrig für die Kleine. Wenn Sie jeden Tag so ein hübsches Mädchen sehen“, beugte sich Winkler nach vorne und senkte die Stimme vertraulich, „werden Sie bestimmt auch schwach. Ich bin schließlich
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