Seelengrab (German Edition)
sich das Sekretariat.
„Schönen guten Morgen, Hirschfeld am Apparat, Kripo Bonn. Ist Professor Stein bereits im Haus?“
„Einen Moment, ich verbinde Sie“, sagte die freundliche Stimme einer älteren Dame.
„Was kann ich für Sie tun?“, war der Rechtsmediziner kurz darauf in der Leitung.
„Ich muss Sie um einen Gefallen bitten, Professor.“
„Natürlich, worum geht es?“
Hirschfeld fasste seine Theorie, zu der er in der vergangenen Nacht gelangt war, mit knappen Worten zusammen. Stein hörte schweigend zu. Als Hirschfeld geendet hatte, entgegnete er schließlich:
„Das sollte machbar sein. Allerdings ist unser Institut nicht für einen solchen Test ausgerüstet.“
„Das ist nicht Ihr Ernst!“
„Lassen Sie mich einen Augenblick nachdenken.“
Stein schwieg, dann fuhr er fort:
„Professor Walther vom Institut für Gerichtliche Medizin in Innsbruck könnte uns in dieser Angelegenheit weiterhelfen.“
„Das liegt in Österreich“, stellte Hirschfeld fest und drehte einen Kugelschreiber nervös zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. „Ich fürchte, diese Zeit bleibt uns nicht mehr. Marie könnte morgen bereits tot sein.“
„Wir arbeiten seit Jahren sehr gut zusammen“, beruhigte ihn Professor Stein. „Ich werde Professor Walther sofort informieren und eine Expresslieferung veranlassen. Ich gehe davon aus, dass Sie noch heute Abend mit dem Ergebnis rechnen dürfen.“
„Kann ich mich darauf verlassen, Professor?“
„Ich gebe Ihnen mein Wort.“
„Danke.“
Damit beendeten sie das Gespräch. Kirchhoff hatte die ganze Zeit über wortlos zugehört. Er war nachts fast gleichzeitig mit Hirschfeld im Büro eingetroffen. Die dunklen Augenringe und der Bartschatten in seinem Gesicht waren Zeugen einer weiteren schlaflosen Nacht.
„Und?“, wollte er wissen. „Wie sieht es aus?“
„Die Probe geht noch heute per Expresslieferung nach Innsbruck. Wenn alles gut geht, wissen wir heute Abend Bescheid.“
„Gut. Wann willst du Schröder einweihen?“, fragte Kirchhoff, legte den Kopf schief und blickte ihn ernst an. „Du weißt, dass du dich gerade auf sehr dünnem Eis bewegst.“
Kirchhoff hatte Recht. Alleingänge hatten in einer Mordkommission nichts zu suchen, doch Hirschfeld wollte auf Nummer sicher gehen. Außerdem diente der Test nur der Bestätigung seiner Annahme. Damit war noch lange nicht geklärt, wer der Mörder von Lena Zimmermann und Susanne Bach war. Hirschfeld musste den eingeschlagenen Weg weiter verfolgen, bevor er den Leiter der MK ins Bild setzen wollte.
„Wenn ich mit meiner Vermutung richtigliege, müssen wir die bisherigen Ermittlungsansätze ganz neu bewerten“, fasste Hirschfeld ihre nächtlichen Diskussionen über die beiden Fälle zusammen.
„Sehe ich auch so. Nehmen wir uns noch mal die Zeugenaussagen vor“, erwiderte Kirchhoff.
„Gut, ich kümmere mich um Lena Zimmermann“, beschloss Hirschfeld.
Er wusste, dass der erste Mord immer der entscheidende war. Aus diesem Grund verdiente dieser besondere Aufmerksamkeit.
„In Ordnung, ich übernehme die Akte von Susanne Bach“, antwortete Kirchhoff und stand auf. „Vorher hole ich uns aber noch frischen Kaffee.“
Zehn Minuten später beugten sie sich schweigend über die Akten. Hirschfeld vertiefte sich in die Zeugenaussagen und Vernehmungsprotokolle zum Mord an Lena Zimmermann. Hin und wieder machte er sich Notizen. Nach zwei Stunden ließ er den Kugelschreiber sinken.
„Ich gehe mir kurz die Beine vertreten“, sagte er zu Kirchhoff.
„Du meinst wohl, du willst eine rauchen.“
„Schuldig im Sinne der Anklage“, lächelte Hirschfeld matt und erhob sich von seinem Platz.
Als er vor das Polizeipräsidium trat, begann es aufzuklaren. Ein paar Sonnenstrahlen kämpften sich durch die Wolkendecke. Es war Anfang März und immer noch kühl. Hirschfeld blinzelte ins Licht und zündete sich eine Zigarette an. Um diese Uhrzeit fuhren nur wenige Autos auf der Königswinterer Straße. Nach ein paar Zügen zog es Hirschfeld wieder zurück ins Büro. Auf dem Weg dorthin kam ihm Christian Hellmann entgegen.
„Morgen“, grüßte der Kriminalkommissar.
„Hallo, Christian.“
„Die Ergebnisse von Winklers DNA-Test sind da. Keine Übereinstimmung.“
„Danke, Hellmann, das hatte ich erwartet“, antwortete Lutz Hirschfeld knapp und ließ Hellmann stehen, der ihm irritiert hinterherblickte.
Kirchhoff sah nicht einmal auf, als er das Büro betrat, so sehr war er in seine Unterlagen vertieft.
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