Seelenjäger: Die Jagd beginnt (German Edition)
Ecke, die vollkommen von hölzernen Trennwänden vom übrigen Raum getrennt wurde. Ich ging darauf zu und verschwand hinter den Trennwänden. Ich vergewisserte mich, dass der Schneider mich nicht sehen konnte, dann legte ich nach und nach meine Kleider ab und schlüpfte in das Ledergewand. Es passte wie angegossen. Ich kam wieder hinter den Trennwänden hervor und der Schneider wies auf einen Spiegel neben einem der Regale. Ich betrachtete mich im Spiegel. Ich war blass, durch das Schwarz des Leders wirkte ich noch blasser. Aber das Gewand verlieh mir etwas Standfestes, etwas Starkes. Ich wirkte nicht mehr so zerbrechlich.
„Ich nehme es!“, sagte ich sofort.
Der Schneider klatschte in die Hände.
„Sehr gut! Ich finde, es steht Euch hervorragend! Aber ich hätte hier noch etwas.“
Ich drehte mich um. Er hatte ein weiteres schwarzes Gewand in den Händen. Es war diesmal allerdings ein Kleid, weiß-grauer Stoff wurde von schwarzem Tüll bedeckt. Es hatte weder Ärmel noch Träger. Ich berührte vorsichtig den Stoff und zog die Hand sofort wieder zurück.
„Gefällt es Euch nicht?“, fragte der Schneider bedrückt.
„Nein, im Gegenteil! Es ist wirklich hübsch, aber ich glaube nicht, dass ich so etwas anziehen könnte.“
„Wie kommt Ihr darauf? Ihr seid zart und gleichzeitig ausdrucksstark, ebenso dieses Kleid!“
Ich holte tief Luft. Komplimente bekam ich kaum zu hören, vor allem nicht von einem Mann. Ich nahm dem Schneider das Kleid aus der Hand und ging zurück hinter die Trennwände.
Der Stoff des Kleides fühlte sich weich und sanft auf meiner Haut an. Es war herrlich. Ich hatte noch nie ein solches Kleid getragen. Selbst das leichte Kleid der Nay verblasste neben diesem. Als ich mich im Kreis drehte, blähte sich der Stoff auf und flatterte in der Luft. Zum ersten Mal fühlte ich mich wie eine Lady, die schöne Kleider und Schmuck ohne Ende besaß. Und als mich der Schneider fragte, ob ich das Kleid kaufen wolle, antwortete ich augenblicklich mit „Ja!“.
Als ich wieder meine alten Kleider trug und die beiden Gewänder gekauft hatte, trat ich erneut in die Kälte des Winters. Ich konnte noch immer nicht ganz begreifen, dass meine Familie schon seit über einer Woche tot war. Als ich an meine Eltern und meinen kleinen Bruder dachte, legte sich ein Gefühl der Einsamkeit über mich. Auf einmal fühlte ich mich von allen verlassen.
Ich war allein. Das wurde mir jetzt klar. Keiner, den ich früher einmal gekannt hatte, war noch bei mir. Meine Familie war tot, sie würde nie wieder zurückkehren. Und auch der Gedanke an Jack und Jason war mit Einsamkeit verbunden. Sie waren so etwas wie Freunde für mich, aber sie waren ebenfalls fort. Ich war von Fremden umgeben, Personen, die ich nicht kannte.
Wieso ich? Die Frage schoss mir immer wieder durch den Kopf. Wieso musste meine Familie sterben? Wieso musste ich Wächterin sein? Wieso wurde ausgerechnet ich in diese Welt hineingeboren? Über all das dachte ich nach, während ich zurück zu Professor Taeks Haus ging.
„So ein Jammer!“ Diese Worte mussten Own und ich uns noch oft anhören.
Der Professor war traurig darüber, dass er so alt und nicht mehr so reisefähig war. Er fand es schade, dass er uns nicht begleiten und seinen alten Freund Professor Bram nicht besuchen konnte. Own rollte dann jedes Mal mit den Augen, wenn Taek wieder seinen berühmten Satz aufsagte. Ich musste bei diesem Anblick immer lächeln. Own erinnerte mich mit seiner lustigen, netten und zugleich besorgten Art an meinen Vater.
Es dauerte ewig, bis uns Professor Taek endlich alles Wichtige aufgedrängt hatte.
Die Sonne hatte schon einen tiefen Stand erreicht, wurde jedoch von grauen Wolken verdeckt. Als Own und ich losritten, Own auf einem wunderhübschen Fuchs und ich auf dem schönsten Rappen der Welt, fing es erneut an, zu schneien. Ich mochte eigentlich Schnee. Er war weich und verwandelte die Landschaft in ein weißes Bett, aber dennoch war er kalt und nass. Zwei Dinge, die ich nicht leiden konnte.
Die weißen Kristalle aus Eis setzten sich auf meinem Umhang fest und bedeckten mich mit einer dünnen Schicht weißen Pulvers. Fasziniert sah ich zu, wie die eine oder andere Schneeflocke langsam schmolz.
Es war so still, während Own und ich durch den Wald ritten. Die Bäume trugen alle Nadeln, anders als bei den Nay. Aber es war schön. Hier und da huschte ein Fuchs oder ein Eichhörnchen, das seine letzten Nüsse sammelte, durch das Unterholz. Nichts wies auf
Weitere Kostenlose Bücher