Seelenjäger: Die Jagd beginnt (German Edition)
Gräser, wohin das Auge reicht. Erst in weiter Ferne tauchte eine Stadt auf: Lyss. Je näher ich heranritt, desto besser konnte ich die Wachtürme der Mauern ausmachen. Das Maultier schleppte sich den Hügel hinauf, auf dem Lyss erbaut wurde. Bis wir schließlich vor den riesigen Toren der Stadt standen. Ich stieg ab und führte das Maultier an einem Strick weiter. Über uns hörte ich die Rufe von den Wachmännern.
Ich fragte mich gerade, was ich tun sollte, um in die Stadt eingelassen zu werden, doch in diesem Moment öffnete sich die Luke in einer kleinen Tür, die in dem riesigen Tor eingelassen war. Das Gesicht eines jungen Mannes erschien. Ich trat näher heran.
„Was willst du hier?“, fragte der Mann.
„Ich möchte mein Maultier verkaufen!“, antwortete ich.
Der Mann reckte den Hals und betrachtete das erschöpfte Tier.
„Scheint mir nicht zum Verkauf geeignet!“, brummte er.
„Der erste Schein trügt immer!“, erklärte ich schnell.
Er sah mich abschätzend an.
„Du scheinst mir keine Händlerin zu sein …“, begann er langsam, dabei betrachtete er meine Kleidung.
Ich trug das Lederkostüm. Ich konnte verstehen, dass ihn das etwas verwirrte.
„Ich möchte mein Maultier gegen ein Pferd eintauschen!“, erklärte ich weiter.
Jetzt sah er mich noch misstrauischer an.
„Dieses alte Vieh kannst du niemals gegen ein reitfähiges Pferd eintauschen! Außer du willst eines stehlen!“, entgegnete er.
„Ich möchte wirklich nicht stehlen, aber ich brauche unbedingt ein Pferd! Außer, Ihr kennt eine andere Möglichkeit, nach Chrana zu gelangen!“
Seine Augen weiteten sich.
„Du bist auf dem Weg in die Stadt der Verdammten!“, rief er aus.
Ich sah ihm sein Entsetzen an. Ich wollte ehrlich gesagt auch nicht dorthin, aber ich musste meinen Bruder befreien. Koste es, was es wolle.
„Gerold, geh beiseite!“, herrschte eine tiefere Stimme.
Der junge Mann tat, wie ihm befohlen, und sein Gesicht verschwand. Stattdessen erschien das Gesicht eines etwa vierzigjährigen Mannes mit Dreitagebart. Er sah überanstrengt aus.
Er musterte mich von oben bis unten. Dann verlangte er nach einem Schlüssel für das Tor. Er öffnete und zeigte mir an, dass ich die Stadt betreten durfte. Er winkte mir zu, ich sollte ihm folgen, was ich auch tat. Das Maultier nahm mir Gerold ab. Ich wollte protestieren, ließ es jedoch widerstandslos geschehen.
Der Mann, der mir den Eintritt gewährt hatte, führte mich durch die Straßen. Viele Menschen liefen auf den Straßen umher und wichen dem Mann schnell aus, wenn sie ihn sahen. Er musste wohl eine wichtige Person sein. Vor einem weiteren Tor blieb er stehen.
„Ich bin es, Lord Jared! Lasst mich herein!“, rief er.
Das Tor sprang mit einem Knarren auf und gab den Blick auf einen großen Hof frei. Stallungen, Brunnen und ein gewaltiger Palast füllten mein Blickfeld. Mir blieb der Mund offen stehen, als ich die hohen Mauern und Fenster des Palastes sah. Und der Mann steuerte direkt auf das Eingangstor dieses Palastes zu. Auch hier kam er problemlos hinein. Doch ich blieb vor der Schwelle stehen. Der Mann drehte sich um.
„Was ist?“, fragte er etwas genervt.
„Ich hab ganz dreckige Füße!“, sagte ich kleinlaut.
„Das macht nichts! Und jetzt komm!“, rief er.
Ich zögerte noch einen Moment, folgte ihm aber dann doch durch die vielen Flure und Säle.
An den Wänden hingen Teppiche und Gemälde von besten Qualität. Ich kam gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. Der Fußboden war teils mit Mosaikplatten, teils mit Marmor verziert.
Lord Jared führte mich eine breite Treppe nach oben und dort durch einen zum Innenhof hin offenen Gang. Die Säulen, die die Decke hielten, waren reichlich verziert und wunderschöne Ornamente waren aus ihnen herausgemeißelt. Lord Jared ging bis zur Tür am Ende des Ganges, vor der zwei Soldaten mit Lanzen standen. Sie zogen diese zurück, als der Lord Eintritt verlangte. Ich folgte.
Wir hatten einen Schlafsaal betreten, in dem ein riesiges Himmelbett, ein Schreibtisch, ein Stuhl mit goldenen Verzierungen und eine Kommode mit verschnörkelten Ecken standen. Auf dem Bett lag ein alter Mann mit weißem Haar und vielen Falten. Das gesamte Bettzeug und die Kleidung des alten Mannes waren kunstvoll bestickt. Hauptsächlich in Rot und Gold.
Ich wusste, wer dieser Mann war: Es war der König von Samalia. Zwar akzeptierten ihn die anderen Wesen, außer den Menschen, nicht als ihren König, doch sie alle respektierten ihn. So
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