Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
überraschtem Ton und streckte ihr die Hand entgegen. »Sie arbeiten sogar am Sonntag? Welch ein Enthusiasmus!«
»Manchmal wohl eher eine Notwendigkeit«, gab Suna höflich zurück und schüttelte ihm die Hand.
Er gehörte zu den wenigen Personen, die sie überhaupt nicht einschätzen konnte. Mal kam er ihr kühl und berechnend vor, dann wieder hatte sie den Eindruck, er könnte jederzeit unter seiner Trauer zusammenbrechen. Allerdings hatte sie erst ein längeres Gespräch mit ihm gehabt. Vielleicht würde er mit der Zeit zugänglicher werden, sich mehr öffnen und dann auch leichter einzuschätzen zu sein, aber das war schwer abzuschätzen. Suna hatte nicht den Eindruck gehabt, dass er auf ein zweites Gespräch mit ihr besonders erpicht gewesen war, und derzeit hatte sie auch keinen konkreten Anlass dazu, noch einmal länger mit ihm zu reden.
Als Ehemann der getöteten Saskia Christensen hatte er natürlich einen Spitzenplatz auf der Liste der möglichen Verdächtigen gehabt. Aber Suna hatte ihn sofort wieder streichen müssen. Jörn Christensen war an dem Abend, als seine Frau starb, auf einem Kongress über den Einsatz von Robotern in der Medizin in Berlin gewesen und hatte sogar selbst eine Rede gehalten. Das hatten nicht nur andere Teilnehmer bestätigt, sondern sogar ein Youtube-Video, das einer der Zuhörer bei seinem Vortrag mitgeschnitten und gleich am nächsten Tag online gestellt hatte. So hatte sich die Privatermittlerin selbst von seinem Alibi überzeugen können.
Linda forderte ihren Schwager freundlich auf, sich in den schwarzen Ledersessel zu setzen. Sie selbst blieb wieder am Fenster stehen. Diesmal hatte sie ihr Gesicht allerdings ihren Gästen zugewandt.
Die beiden hatten einen sehr liebevollen Umgangston. Sie mussten sich sehr nahe stehen, wahrscheinlich hatte spätestens die gemeinsame Trauer sie zusammengeschweißt. Suna war das schon vorher aufgefallen. Selbst wenn sie nur voneinander sprachen, wirkte es sehr vertraut.
»Frau Lürssen ist hergekommen, um mir eine schlimme Nachricht zu überbringen«, erklärte Linda, nachdem Jörn es sich im Sessel bequem gemacht hatte. »Sie wollte heute Vormittag mit meiner Mutter sprechen und hat sie tot aufgefunden. Anscheinend hat sie sich das Leben genommen.«
Ihre Stimme klang wieder ganz neutral, nicht mehr so traurig wie vorher, als sie vom Zusammenleben mit ihrer Mutter gesprochen hatte.
Ihr Schwager zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Er wirkte ehrlich verblüfft. »Irene hat sich umgebracht? Wie? Und warum?«
»Den Grund kenne ich natürlich nicht«, antwortete Suna an Lindas Stelle, die nur mit den Schultern gezuckt hatte. In knappen Worten schilderte sie ihm die Ereignisse vom Vormittag. »Ob es etwas mit dem Tod von Saskia zu tun hatte, darüber könnte ich natürlich nur spekulieren«, schloss sie ihren Bericht.
Jörn stieß ein höhnisches, humorloses Lachen aus, das Suna zusammenfahren ließ. »Wohl kaum. Sie hat sich ihr Leben lang nicht um ihre Tochter gekümmert. Warum hätte sie jetzt damit anfangen sollen?«
Suna wollte einwenden, dass es gerade das schlechte Gewissen wegen des Selbstmordes gewesen sein konnte, dass die Frau in den Tod getrieben hatte, ließ es aber unausgesprochen. Seiner Reaktion nach zu urteilen, brachte eine Diskussion darüber sie sicherlich nicht weiter.
»Kannten Sie Irene Vossen gut?«, fragte sie stattdessen.
Jörn trank in Ruhe einen Schluck von dem Kaffee, den Linda ihm hingestellt hatte. Dann lehnte er sich wieder zurück und schüttelte er den Kopf.
»Nein. Ich habe sie nur ein einziges Mal getroffen. Als ich Saskia kennengelernt habe, hatte sie schon keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter. Ihr Verhältnis war total gestört, Saskia hat sich sogar geweigert, mit mir über sie zu sprechen. Aber kurz nach unserer Hochzeit hat Irene sich plötzlich bei ihr gemeldet. Sie hat uns beide zum Essen eingeladen. Dabei hat sie so getan, als ob nichts gewesen wäre. Als wäre sie immer die beste Mutter gewesen und hätte alles für ihre Kinder getan.« Er schüttelte verständnislos den Kopf. »So eine Heuchlerin. Saskia war richtig geschockt darüber, wie sie sich aufgeführt hat.«
»Warum hat sie sich mit Ihnen getroffen, hat sie Ihnen das gesagt? Was wollte sie von Ihnen?«, erkundigte sich Suna.
»Geld«, warf Linda ein. Verbitterung klang in ihrer Stimme mit. »Sie wollte immer nur Geld. Sie muss mitbekommen haben, dass ihre ältere Tochter eine gute Partie gemacht hat. Da wollte sie natürlich ein
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