Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
draußen brauchte sie ein paar Sekunden, um sich an das schummrige Licht im Inneren zu gewöhnen und richtig sehen zu können. Die Garage hatte kein Fenster, und die Beleuchtung war nicht eingeschaltet. Nur das durch den jetzt leeren Türrahmen hereinfallende Tageslicht erhellte die Szenerie etwas.
Trotzdem sah sie den Wagen sofort. Es war ein alter Fiat Panda, bei dem wie erwartet der Motor lief. Die Scheiben sowohl auf der Fahrer- als auch auf der Beifahrerseite waren offen, und auf dem Fahrersitz entdeckte Suna eine leblose Gestalt. Irene Vossen, da war sie sich sicher. Die schmächtige Frau war über dem Lenkrad zusammengesunken, den Kopf zur Seite gedreht, sodass Suna ihr Gesicht nicht sehen konnte.
Die Privatdetektivin legte schützend ihre Armbeuge über Mund und Nase und lief los. Die Luft in der Garage roch zwar stark nach Abgasen, war aber nicht so rauchig, wie sie angenommen hatte. Trotzdem bemühte sie sich, so flach wie möglich zu atmen. Nicht den Ruß in der Luft oder den Gestank fürchtete sie, sondern das hochgiftige Kohlenmonoxid.
Erleichtert stellte sie fest, dass sich die Tür des Pandas leicht öffnen ließ. Sie langte ins Innere des Wagens, nahm sich jedoch nicht die Zeit, den Motor auszustellen. Stattdessen packte sie die Schultern der Frau, die ihr sofort entgegen sank. Sie drehte sie etwas herum, schlang ihr von hinten beide Arme um die Brust und zog sie aus ihrem Auto. Dann lief sie rückwärts auf die Tür zu, Irene Vossen hinter sich herziehend. Die Frau verlor ihre beiden Schuhe – Hauspantoffeln, wie Suna feststellte – als ihre Füße über den rauen Betonboden der Garage schleiften.
Erst als Suna im Freien war, wagte sie es, tief Luft zu holen. Sie schleppte den immer noch völlig erschlafften Körper der Frau noch ein paar Meter von der Garage weg, ehe sie sich zusammen mit ihr erschöpft auf den Boden fallen ließ.
An ihrem Hals fühlte Suna nach einem Puls, hoffte auf einen Atemzug von ihr. Doch sie spürte kein Lebenszeichen. Nur einen leichten Alkoholgeruch nahm sie wahr.
Sie überlegte, ob sie versuchen sollte, die Frau wiederzubeleben, entschied sich dann aber dagegen. Die Kälte ihrer Haut und die ungewöhnlich rosige Gesichtsfarbe sagten ihr genug.
Sie war zu spät gekommen. Irene Vossen war tot.
Langsam ließ Suna ihren Kopf auf den noch frühlingskalten Boden sinken. Im Moment konnte sie nichts weiter tun als auf den Notarzt zu warten, der endgültig den Tod der Frau feststellen würde, die immer noch direkt neben ihr auf dem Boden lag.
Während sie auf die langsam näherkommende Sirene des Rettungswagens lauschte, drehten sich in ihrem Kopf ihre Gedanken im Kreis. Zwei Frauen aus einer Familie, die sich innerhalb von zwei Wochen das Leben nahmen. Konnte das noch Zufall sein?
Möglich war alles, sagte sie sich, doch vielleicht steckte hinter Saskia Christensens Tod doch mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte.
*
Linda Vossen nahm die Nachricht vom Tod ihrer Mutter mit erstaunlicher Gelassenheit auf.
Suna hatte die unangenehme Aufgabe übernommen, ihrer Klientin von den Geschehnissen am Vormittag zu berichten. Nachdem der Notarzt bei Irene Vossen wie erwartet nur noch hatte den Tod feststellen können, hatten die von der Notrufzentrale verständigten Polizisten sich von Suna schildern lassen, wie sie die Tote gefunden hatte.
Suna kannte einen der Polizisten, Oberkommissar Wehrkamp, recht gut. Sie hatte schon bei verschiedenen Fällen mit ihm zu tun gehabt. Ihm gab sie das Versprechen, sofort zu Linda zu fahren und ihr zu erzählen, was passiert war.
Der Notarzt hatte noch ihre aufgerissene Hand gereinigt, die Wunde desinfiziert und sorgfältig verbunden. Seinen Rat, damit noch ins Krankenhaus zu fahren, hatte Suna allerdings ausgeschlagen. So schlimm war die Verletzung nicht, und außerdem konnte sie mit ihrer Zeit Besseres anfangen, als stundenlang in der überfüllten Notaufnahme zu sitzen und auf eine überflüssige Behandlung zu warten.
»Wirklich nahe scheint Ihnen der Tod Ihrer Mutter nicht zu gehen«, meinte Suna verwirrt, als sie Linda Vossen in deren Wohnung gegenübersaß. Nach Lindas extremer emotionaler Reaktion auf den Tod ihrer Schwester hatte sie mit einem tiefen Schock, vielleicht sogar einem völligen Zusammenbruch gerechnet, aber bestimmt nicht mit der kühlen Selbstbeherrschung, die ihre Klientin jetzt zeigte.
Suna war selbst noch so mitgenommen von ihrem Erlebnis am Vormittag, dass sie gar nicht merkte, wie taktlos ihre
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