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Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)

Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)

Titel: Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Wassermann
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»Ich weiß nicht, ob meine Mutter angefangen hat zu trinken, weil er uns verlassen hat, oder ob er gegangen ist, weil sie getrunken hat. Aber eigentlich spielt das auch keine Rolle, zumindest keine wichtige. Jedenfalls war der Alkohol immer ein Thema in unserer Familie, und ich habe schon ganz früh lernen müssen, dass er meiner Mutter mehr bedeutet als meine Schwester und ich. Für mich war es ganz normal, dass Saskia sich um mich gekümmert hat, während meine Mutter auf der Couch lag und nicht ansprechbar war. Für mich war immer Saskia meine Mutter, auch wenn sich das merkwürdig anhört. Sie hat dafür gesorgt, dass ich etwas zu essen habe, dass ich mir vor dem Schlafengehen die Zähne putze und dass ich jeden Tag meine Hausaufgaben mache. Auch wenn ich krank war, hat sie an meinem Bett gesessen, nicht meine Mutter.
    Damals habe ich gar nicht begriffen, welche Belastung das für sie gewesen sein muss, sie war ja auch noch ein Kind. Und sie selbst ist dabei irgendwie auf der Strecke geblieben. Ihre eigenen Schulnoten waren ziemlich mies, und normale Sachen, die Teenager so machen, ins Kino gehen oder abends mal in die Disco, das war für sie die absolute Ausnahme. Dementsprechend hatte sie nur wenige Freunde. Die paar, die sie mal zu Hause bei uns besucht haben, hat meine Mutter mit ihrem Gelalle und ihren Wutausbrüchen schnell vertrieben. Wenn sie getrunken hatte, war sie einfach unberechenbar. Sie konnte in einem Moment die liebste Person der Welt sein, um im nächsten völlig auszurasten, herumzuschreien und um sich zu schlagen.
    Am schlimmsten muss es gewesen sein, direkt nachdem mein Vater sich aus dem Staub gemacht hatte. Für einige Monate sind Saskia und ich damals sogar in eine Pflegefamilie gekommen. Danach hat es sich wohl wieder gebessert, jedenfalls haben wir wieder zuhause wohnen können. Aber eine richtige Mutter-Kind-Beziehung haben wir nie zu Irene gehabt, weder ich noch meine Schwester. Unsere Mutter hat uns immer deutlich zu verstehen gegeben, dass wir eigentlich nur eine Belastung für sie waren. Direkt an ihrem achtzehnten Geburtstag ist Saskia ausgezogen und hat den Kontakt zu meiner Mutter sofort abgebrochen. Sie hat entweder bei einem Freund gewohnt oder auch mal selbst ein Zimmer oder eine kleine Wohnung gemietet. Das wechselte ständig.
    In dieser Zeit war ich mehr bei ihr als bei meiner Mutter, und ich hatte den Eindruck, dass das beiden sehr recht war. Ich war natürlich über jede Minute froh, in der ich nicht den Launen meiner Mutter ausgesetzt war, auch wenn es finanziell immer schwierig bei Saskia war. Sie hat uns beide mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Sie hatte mit ihren miserablen Noten ja keinen Schulabschluss geschafft. Deshalb hatte sie auch keine Berufsausbildung und keinen festen Job.«
    Suna nickte nachdenklich. Linda hatte ihr schon bei ihrem Treffen in Roberts Kanzlei berichtet, dass ihre Schwester weder die Schule zu Ende gemacht noch eine Lehrstelle bekommen hatte. Anscheinend hatte sie sich irgendwie durchs Leben geschlagen, bis sie schließlich Jörn Christensen kennengelernt und kurz darauf geheiratet hatte. Seitdem hatten sie die klassische Rollenverteilung gehabt: Er hatte als Geschäftsführer einer Firma für Medizintechnik das Geld nach Hause gebracht, sie hatte sich um den Haushalt gekümmert.
    Nicht gerade der Traum einer modernen Frau, dachte Suna. Wenn Kinder da sind, um die man sich kümmert, okay, da gab es sicher immer genug zu tun. Aber nur putzen, kochen und darauf warten, dass der geliebte Ehegatte abends nach Hause kommt? Das als alleiniger Lebensinhalt? Unvorstellbar.
    Sie selbst hatte es nicht geschafft, ihren Exmann von der Vorstellung abzubringen, dass genau dies das ideale Bild einer Ehe war. Und aus diesem Grund war sie gegangen, auch wenn es ihr sehr schwer gefallen war.
    Das Klingeln an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Linda entschuldigte sich beiläufig und verließ das Wohnzimmer. Wenig später kehrte sie in Begleitung eines Mannes zurück. Er war groß und schlank. Seine braunen Augen blickten hinter der eckigen Brille etwas abwesend. In sein dichtes hellbraunes Haar hatten sich ein paar graue Strähnen gemischt.
    Suna erkannte ihn natürlich sofort wieder. Es war Jörn Christensen, der Ehemann von Saskia und damit Lindas Schwager.
    Als er Suna erblickte, verzog sich sein Mund zu einem Lächeln, doch seine Augen blieben davon unberührt. In ihnen standen noch immer Trauer und Schmerz.
    »Frau Lürssen«, sagte er in

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