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Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)

Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)

Titel: Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Wassermann
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Stückchen vom Kuchen abhaben. Und so wie ich sie kenne, sollte es ein möglichst großes Stück sein.«
    »Uns hat sie natürlich erklärt, dass ihr alles sehr leidtäte und sie sich unbedingt mit Saskia versöhnen möchte«, erklärte Jörn in diplomatischem Tonfall. »Aber tatsächlich hat sie noch bei unserem ersten Treffen davon angefangen, dass sie finanziell in der Klemme steckt und dringend Geld braucht.« Er verzog angewidert das Gesicht. »Daraufhin ist Saskia sofort aufgestanden und gegangen. Ich denke, das war auch gut so. Sie hat sich sowieso nur mit Irene getroffen, weil ich sie dazu überredet hatte. Ich dachte, es würde ihr guttun, sich wieder mit ihrer Mutter zu versöhnen. Wie dem auch sei, Irene hat sich nie wieder bei ihr gemeldet.«
    »Nicht einmal zu Saskias Beerdigung ist sie erschienen«, warf Linda ein. »Und ich werde nicht zu ihrer gehen, das steht fest.«
    Suna dachte eine Weile über das eben Gehörte nach. Sie hatte schon mit vielen kaputten Familien zu tun gehabt. Trotzdem erschütterte sie die Gefühllosigkeit, die Irene Vossen ihren Kindern anscheinend entgegengebracht hatte – oder gerade deshalb. Dass Mütter sich nicht richtig um ihre Kinder kümmern konnten, aus welchen Gründen auch immer, kam häufiger vor, aber diese Kälte ihnen gegenüber hatte sie noch nicht erlebt.
    »Und was war mit Ihrem Vater?«, fragte sie an ihre Klientin gewandt. »Sie haben gesagt, er hätte die Familie verlassen. Hat er sich trotzdem weiter um Sie und Ihre Schwester gekümmert?«
    Linda schüttelte den Kopf, wobei ihre Miene nichts als Abweisung widerspiegelte.
    »Ihn haben nur seine neue Frau und die neuen Kinder interessiert, die er sehr schnell in die Welt gesetzt hat. Soweit ich weiß, hat er an meine Mutter Unterhalt für meine Schwester und mich gezahlt, aber das war alles. Erst kurz vor seinem Tod wollte er plötzlich Kontakt zu uns aufnehmen.« Sie presste die Lippen zusammen. »Wahrscheinlich wollte er sein Gewissen bereinigen, damit er nicht in die Hölle kommt. Aber nicht mit mir. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben.«
    »Piet Vossen ist vor einem knappen Jahr an Lungenkrebs gestorben«, erklärte Jörn, nachdem sich Linda wieder mit vor der Brust verschränkten Armen zum Fenster gedreht hatte. Es war offensichtlich, dass sie nicht mehr über das Thema Familie sprechen wollte. Er fuhr fort: »Ein paar Wochen vorher hat er plötzlich bei uns angerufen, nachdem Saskia jahrelang nichts von ihm gehört hat. Er hat erzählt, dass er bald sterben würde und sie gebeten, zu ihm in die Klinik zu kommen. Sie hat ihn dann auch regelmäßig besucht, wollte aber nicht zu seiner Beerdigung gehen, weil sie nicht mit seiner neuen Familie zusammentreffen wollte.«
    Suna nickte verständnisvoll und blickte zu Linda hinüber. Diese starrte nach wie vor reglos aus dem Fenster. Suna spürte Mitleid in sich aufsteigen. Ihre Klientin gab sich nach außen hart und unnahbar, aber sie konnte ihr ansehen, dass die Geschehnisse sie viel stärker mitnahmen, als sie den anderen – und wahrscheinlich auch sich selbst – gegenüber eingestehen wollte. Innerhalb eines Jahres seine gesamte Familie zu verlieren, das musste man erst einmal verkraften.
    »Gut, ich denke, ich sollte jetzt besser gehen«, sagte Suna lächelnd und stand auf. Sie reichte erst Jörn, dann Linda die Hand. »Ich werde weiter die Liste abarbeiten, die Sie mir gegeben haben. Wenn ich etwas Neues herausfinde, melde ich mich sofort bei Ihnen. Und bitte geben Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas über die Ermittlungen zum Tod Ihrer Mutter erfahren.«
    Nachdem Linda ihr das zugesagt hatte, verließ Suna die Wohnung. Sie beschloss, kurz nach Hause zu fahren, sich umzuziehen und eine Runde zu laufen. Sie brauchte dringend frische Luft und etwas Zeit, um in Ruhe über alles nachdenken zu können. Manchmal bekam sie beim Joggen die besten Ideen, und die konnte sie jetzt dringend gebrauchen.
    Auch wenn die Fakten noch keine Schlüsse zuließen, ihr Instinkt sagte ihr, dass hinter dem Tod der beiden Frauen mehr steckte als zwei zufällig fast zeitgleiche Selbstmorde.
    Sie seufzte. Ihr stand ein hartes Stück Arbeit bevor.
     

Montag, 18. März
    Im Hausflur stank es nach Urin und anderen unappetitlichen menschlichen Absonderungen.
    Suna rümpfte die Nase und versuchte den aufsteigenden Ekel zu ignorieren, während sie die Treppe zum achten Stock hinauflief. Dabei vermied sie jegliche Berührung mit der Wand oder dem Treppengeländer. Welche Substanzen

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