Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
resigniertem Gesichtsausdruck den Kopf.
»Ich weiß zwar nicht, ob er heute noch mal ins Büro kommt, aber wenn, kann ich ihm ja Bescheid sagen, dass er Sie anrufen soll«, gab sich Celina plötzlich hilfsbereit. »Wissen Sie denn den Namen von diesem Mann? Dann könnte ich den ja schon mal weitergeben.«
»Nein, leider nicht. Ich habe nur ein Foto von ihm.« Suna zog ihr Handy aus der Tasche und rief eines der Bilder auf, die Kobo auf ihr Handy geschickt hatte. Darauf war das Gesicht des schwarzhaarigen Manns recht gut zu erkennen.
Celina warf nur einen kurzen Blick auf das Display, dann lachte sie auf.
»Na, da müssen Sie sich jetzt aber wirklich keine Sorgen machen, wenn es um den Mann auf dem Bild da geht. Der spioniert hier bestimmt nicht herum. Das ist mein Chef!«
»Paul Sheridan? Nein, der sieht doch ganz anders aus.« Suna sah verständnislos auf ihr Handy.
Wieder lachte Celina. »Nein, nicht der, der andere. Das ist Rüdiger Tenstaage, mein anderer Chef. Die beiden haben zusammen die Firma hier gegründet.«
»Entschuldigung, jetzt stand ich wirklich auf dem Schlauch«, meinte Suna mit erleichtertem Gesichtsausdruck. »Kann ich denn Herrn Tenstaage sprechen? Ist der da?«
Celinas Miene drückte Bedauern aus. »Leider auch nicht. Er ist schon eine ganze Weile weg, musste wohl plötzlich nach Argentinien, wegen einer Familienangelegenheit. Seine Frau ist Argentinierin, müssen Sie wissen. Momentan können wir ihn nur über E-Mail erreichen. Wenn es dringend ist, könnte ich Ihnen seine E-Mail-Adresse geben.«
Suna zögerte kurz, winkte dann aber ab. »Ich denke, das wird nicht nötig sein. Wenn ich doch noch eine Frage habe, würde ich einfach bei Ihnen anrufen, in Ordnung?«
»Na gut.«
»Danke.« Suna lächelte über den stillschweigend geschlossenen Waffenstillstand. »Ach ja, können Sie mir sagen, seit wann Herr Tenstaage weg ist?«
»Allerdings«, seufzte Celina. »Und dazu brauche ich nicht einmal in den Kalender zu sehen. Seitdem geht hier nämlich alles drunter und drüber, selbst wenn nicht gerade irgendwelche Frauen auftauchen und behaupten, Termine ausgemacht zu haben, die es gar nicht gibt. Er war am 27. Februar das letzte Mal hier im Büro.«
*
Es war nicht schwierig, mehr über Rüdiger Tenstaage herauszufinden. Suna hatte sich sofort, nachdem sie wieder zurück in ihr Büro gekommen war, an den Computer gesetzt und im Internet recherchiert. Dank verschiedener Adressverzeichnisse, Online-Archive und sozialer Netzwerke konnte man fast über jeden etwas erfahren.
So wusste sie inzwischen, dass Tenstaage ursprünglich aus Köln stammte und an der dortigen Fachhochschule studiert hatte. Nach dem erfolgreichen Abschluss hatte er bei einem Lübecker Architekturbüro angefangen, wo er auch Paul Sheridan kennengelernt hatte. Einige Jahre später hatten die beiden ihre eigene Firma gegründet, die inzwischen recht erfolgreich arbeitete.
Tenstaage war zweiundfünfzig und in zweiter Ehe verheiratet.
Suna fragte sich, was er mit Saskia zu tun haben könnte, während sie zu seiner Adresse fuhr. Sie wollte sich selbst davon überzeugen, ob Tenstaage wirklich nach Argentinien geflogen war. Einer der Nachbarn würde bestimmt davon wissen. Celina hatte gesagt, dass er am 27. Februar zum letzten Mal im Büro gewesen war. Saskias Todestag lag fast eine Woche später. Sollte Tenstaage da schon in Argentinien gewesen sein, konnte er sie zumindest nicht von der Brücke gestoßen haben.
Abgesehen davon weckte es grundsätzlich Sunas Aufmerksamkeit, wenn Beteiligte in einem Fall plötzlich für mehrere Wochen verschwanden, noch dazu angeblich ins Ausland.
Laut Adressregister wohnte Tenstaage mit seiner Frau in einem der sogenannten Sommerhäuser am Ufer der Wakenitz. Das Haus wirkte sehr repräsentativ und war anscheinend erst vor kurzer Zeit frisch gestrichen worden. Die weiße Fassade zeigte keinerlei Grauschimmer. Auch der Garten war in bemerkenswert gutem Zustand. Eine große, gepflegte Rasenfläche wurde von sorgfältig beschnittenen Sträuchern und Bäumen eingerahmt, zwischen denen Gruppen von Frühlingsblühern leuchteten.
Eine junge Frau in Jeanslatzhose und weitem Pullover war gerade damit beschäftigt, die üppigen Rosensträucher zu schneiden, als Suna auf das Haus zulief. Die Frau hatte ihre langen, tiefschwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Suna erinnerte sich, dass Tenstaage laut Celina inzwischen mit einer Argentinierin verheiratet war. Konnte die junge Frau im
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